Der falsche Freund
sagte ich, als er auf den Beifahrersitz kletterte und sein Rucksack sich dabei irgendwie mit seinem mageren Körper verhedderte. »Wie geht’s?«
»Gut. Richtig gut.« Er schnallte den Sicherheitsgurt um sich und sein Gepäck. »Ich bringe mir gerade das Gitarrespielen bei, musst du wissen. Erinnerst du dich noch an deine alte Gitarre?
Ich habe sie in der Rumpelkammer gefunden. Sie ist ziemlich ramponiert, aber das spielt im Moment noch keine große Rolle.
Egal, auf jeden Fall habe ich mir gedacht, dass ich uns heute was Schönes zum Abendessen koche, okay? Die Zutaten sind in der Tüte. Du hast doch keine anderen Pläne, oder?«
»Nein«, antwortete ich. »Natürlich nicht. Was soll’s denn geben?«
»Erst mal herzhafte Pfannkuchen«, informierte er mich.
»Ich habe sie in einem von Mums Kochbüchern entdeckt.
Angeblich sind sie total einfach. Ich weiß noch nicht, womit ich sie füllen werde, aber du hast bestimmt irgendwas, das ich reintun kann. Vielleicht Käse? Oder Thunfisch. Sogar du musst doch in irgendeinem Schrank eine Dose Thunfisch haben. Dann Kebab. Da muss ich vorher eine Marinade zubereiten, es könnte also eine Weile dauern. Das mache ich gleich als Erstes, wenn wir bei dir sind. Über die Nachspeise habe ich noch nicht nachgedacht. Willst du überhaupt eine? Vielleicht reichen uns die Vorspeise und der Kebab. Ich könnte uns natürlich einen Milchreis kochen. Ach nein, Reis gibt es ja schon zum Kebab, dann ist das wohl keine so gute Idee.«
»Lieber keine Nachspeise«, sagte ich. Ich sah schon vor meinem geistigen Auge, welches Chaos meiner Küche bevorstand.
Troy und ich treffen uns jeden Donnerstag. Wir ziehen das seit zwei Jahren ziemlich konsequent durch. Angefangen haben wir mit diesem Arrangement, als er fünfzehn war und in großen Schwierigkeiten steckte. Ich hole ihn nach der Arbeit bei Mum und Dad ab und bringe ihn abends wieder zurück oder lasse ihn auf meiner schon etwas durchgelegenen Ausziehcouch schlafen.
Manchmal gehen wir ins Kino oder in ein Konzert. Gelegentlich unternehmen wir auch etwas mit meinen Freunden. Den Donnerstag zuvor waren wir mit Laura, Tony und ein paar anderen in einem Pub, aber es handelte sich um einen seiner lethargischen Tage, sodass er nach dem ersten Schluck Bier einfach den Kopf auf den Tisch legte und einschlief. Manchmal wirkt er schrecklich schüchtern, an anderen Tagen ist ihm einfach alles egal. Dann greift er mitten im Gespräch nach einem Buch, dreht sich um und verschwindet damit. Weil ihm gerade danach ist.
Ziemlich oft fahren wir einfach zu mir in die Wohnung und machen irgendwas miteinander. Seit ein paar Wochen ist er total versessen aufs Kochen, mit unterschiedlichem Erfolg. Er kann sich sehr schnell für etwas Neues begeistern, aber ebenso rasch flaut sein Enthusiasmus auch wieder ab. Es gab beispielsweise mal eine Phase, in der er nur Patiencen legen wollte. Solange er ein Spiel nicht beendet hatte, war er zu nichts anderem zu gebrauchen. Wenn es aufging, betrachtete er das als gutes Omen, was aber fast nie der Fall war. Im Sommer entdeckte er sein Faible für große Puzzles. Einmal brachte er eines mit, das sich »Das schwierigste Puzzle der Welt« nannte. Es bestand aus Tausenden von winzigen, beidseitig bedruckten Teilchen, und man wusste nicht, wie das fertige Bild aussehen sollte.
Wochenlang konnte ich meinen Tisch nicht benutzen, weil darauf das angefangene Puzzle lag, außen herum die bereits fertigen Kanten und in der Mitte das langsam entstehende Bild einer Straßenszene. Von einem Tag auf den anderen fand er das Ganze dann plötzlich langweilig. »Was hat es eigentlich für einen Sinn, solche Puzzles zusammenzusetzen?«, fragte er mich.
»Erst sitzt man ewig daran, und wenn man dann endlich fertig ist, nimmt man es wieder auseinander und legt es zurück in die Schachtel.« Obwohl er schon so viel Zeit darauf verwendet hatte, brachte er es nicht zu Ende. Es befindet sich noch immer in einer Schachtel unter meinem Bett.
Was ist bei ihm schief gelaufen? Das fragt meine Mutter manchmal, vor allem, wenn Troy stumm und in sich gekehrt in seinem Zimmer sitzt und sein Gesicht aussieht wie eine trotzige Maske. Er war von Anfang an ein sehr gescheites Kind gewesen, manchmal sogar auf verblüffende Weise: Er hatte schon mit einem Jahr ganze Sätze gesprochen, mit drei Jahren Lesen gelernt und später alle seine Lehrer mit seinen Fähigkeiten beeindruckt. Meine Eltern hatten vor ihren Freunden mit ihm angegeben. Er war bei
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