Der falsche Freund
Veranstaltungen zur Schau gestellt und mit Schulpreisen überhäuft worden. Das Lokalblatt hatte mehrfach über ihn berichtet, und am Ende wurde er in eine Klasse gesteckt, in der alle anderen Kinder ein, zwei Jahr älter waren als er – und einen halben Meter größer, weil er anscheinend nicht wuchs. Er war ein extrem kleiner Junge mit knochigen Knien und abstehenden Ohren.
Irgendwann begannen die Schikanen. Ich meine damit nicht nur, dass er auf dem Schulhof herumgeschubst und als Streber verspottet wurde. Nein, er wurde von einer Gruppe von Jungs systematisch gequält und von allen anderen geschnitten. Seine Peiniger nannten ihn »Troy Boy«, sperrten ihn auf der Schultoilette ein, banden ihn hinter dem Fahrradschuppen an einen Baum, warfen seine Bücher in den Dreck und trampelten darauf herum, ließen im Klassenzimmer Zettel herumgehen, auf denen sie ihn als Waschlappen und Tunte bezeichneten. Sie boxten ihn in den Magen, verfolgten ihn auf seinem Heimweg von der Schule. Er erzählte niemandem davon – und Kerry und ich waren so viel älter als er, dass wir zu dem Zeitpunkt bereits in einer anderen Welt lebten und nichts davon mitbekamen. Er beschwerte sich auch nicht bei seinen Lehrern oder unseren Eltern, die nur wussten, dass er still und »anders« war als die anderen Jungs in seiner Klasse. Er arbeitete einfach noch härter und eignete sich eine pedantische und leicht sarkastische Art an, die ihn nur noch mehr isolierte.
Als er dreizehn war, wurden meine Eltern in die Schule zitiert, weil man ihn dabei erwischt hatte, wie er auf dem Schulhof ein paar Jungs mit Knallkörpern bewarf. Er raste und heulte vor Wut und beschimpfte jeden, der in seine Nähe kam, als würden die Qualen von acht Jahren Schikane plötzlich alle auf einmal aus ihm herausbrechen. Er wurde für eine Woche vom Unterricht ausgeschlossen. Während dieser Woche »beichtete«
er Mum alles, woraufhin sie in die Schule stürmte und einen Aufstand machte. Mehrere Jungs mussten vor dem Direktor erscheinen und wurden für ihr Verhalten bestraft. Aber wie soll man Kindern beibringen, jemanden zu mögen, noch dazu, wenn dieser Jemand so ist wie mein kleiner Bruder: schüchtern und voller Angst, in seinem sozialen Verhalten gestört und durch seine besondere Art von Intelligenz gehandikapt? Und wie ist ein Schaden wieder gutzumachen, der bis in die Grundfesten reicht? Ein Haus kann man in einem solchen Fall abreißen und neu aufbauen, aber bei einem Menschen geht das natürlich nicht.
Ich hatte mittlerweile meine Ausbildung am College abgeschlossen. Wie ernst die Lage tatsächlich war, begriff ich erst, als Troy seinen Abschluss machen sollte. Vielleicht hatte ich es einfach nicht sehen wollen. Alle rechneten damit, dass er hervorragend abschneiden würde. Er selbst sagte, es sei gut gelaufen, äußerte sich ansonsten aber nur sehr vage über die einzelnen Prüfungen. Wie sich herausstellte, war er zu keiner einzigen erschienen. Stattdessen hatte er sich in einen Park in der Nähe seiner Schule gesetzt, die Enten mit Brot gefüttert, den Müll am Rand des Teichs betrachtet und hin und wieder auf seine Uhr gesehen. Als es schließlich herauskam, waren meine Eltern völlig ratlos. Ich kann mich noch an einen Nachmittag erinnern, als Mum weinte und ihn immer wieder fragte, was sie denn falsch gemacht habe, ob sie wirklich so eine schlechte Mutter gewesen sei, und Troy einfach nur schweigend dasaß, während seine Miene eine Mischung aus Triumph und Scham zeigte, die mich erschreckte. Der Schulpsychologe, den meine Eltern hinzuzogen, erklärte, es handle sich um einen Hilferuf.
Ein paar Monate später sagte er, die Verletzungen, die Troy sich selbst zufügte – Dutzende von flachen Schnitten an den Unterarmen –, seien gleichermaßen ein Hilferuf, und dass er an manchen Tagen einfach nicht aus dem Bett komme, sei ebenfalls so zu interpretieren.
Troy kehrte nicht an die Schule zurück. Er bekam einen Privatlehrer und jede Menge Therapiesitzungen. Dreimal die Woche geht er zu einer Frau mit ein paar Buchstaben hinter ihrem Namen, um mit ihr über seine Probleme zu sprechen. Ab und zu frage ich ihn, wie diese fünfundvierzig Minuten dauernden Sitzungen ablaufen, aber meist zuckt er nur grinsend mit den Achseln. »Oft schlafe ich einfach«, hat er einmal geantwortet. »Ich lege mich auf die Couch und schließe die Augen, und plötzlich sagt eine Stimme zu mir, dass meine Sitzung vorbei ist.«
»Wie geht’s dir denn so?«, fragte ich, während
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