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Der falsche Freund

Titel: Der falsche Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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ich uns eine Kanne Tee machte und er rote Paprikaschoten in Streifen schnitt. In der Küche herrschte bereits Verwüstung. Ein Topf mit Reis kochte so wild vor sich hin, dass der Dampf immer wieder den Deckel hochdrückte und Wasser über den Rand schwappte. Der Tisch war mit Eierschalen übersät, in der Spüle stapelten sich Schüsseln und Löffel. Der Boden war mit Mehl bestäubt, als hätte es in meiner Küche leicht geschneit.
    »Ist dir schon mal aufgefallen, dass die Leute immer in einem besonders vorsichtigen, taktvollen Ton mit mir sprechen, wenn sie mich fragen, wie es mir geht?«
    »Tut mir Leid«, sagte ich.
    »Es langweilt mich zu Tode, immer nur über mich zu sprechen. Wie geht’s denn dir?«
    »Passt schon.«
    »Nein, ich will es wirklich wissen. Das ist der Deal. Ich sage es dir, du sagst es mir.«
    »Eigentlich trifft es ›passt schon‹ im Moment ziemlich genau.
    Bei mir gibt’s zurzeit nicht viel zu berichten.«
    Er nickte. »Brendan will mir das Fischen beibringen«, erklärte er.
    »Ich wusste gar nicht, dass du dich dafür interessierst.«
    »Tu ich ja auch nicht. Ich habe nie einen Gedanken daran verschwendet. Aber er sagt, wir könnten irgendwann ans Meer fahren, wo ein Freund von ihm ein Boot liegen hat, und damit Makrelen fischen. Er sagt, man zieht sie einfach aus dem Wasser, eine nach der anderen, und dann brät man sie über dem Feuer.«
    »Klingt gut.«
    »Er sagt, es mache sogar bei Regen Spaß, in einem Boot zu sitzen und zu warten, bis einer angebissen hat.«
    »Demnach hast du ihn schon oft getroffen?«
    »Ein paarmal.«
    »Und du magst ihn?«
    »Ja. Allerdings kann ich ihn mir nicht als deinen Freund vorstellen.«
    »Warum nicht?«

    Er zuckte mit den Achseln. »Er ist nicht dein Stil.«
    »Was ist denn mein Stil?«
    »Du bist eher der Katzen- als der Hundetyp.«
    »Ich habe keinen blassen Schimmer, wovon du sprichst.«
    »Er hat mehr von einem Hund als von einer Katze, findest du nicht? Eifrig und um Aufmerksamkeit bemüht. Katzen sind unabhängiger und hochnäsiger.«
    »Dann bin ich also hochnäsig?«
    »Zu mir nicht. Aber zu Leuten, die du nicht so gut kennst.«
    »Und was bist dann du?«
    »Ein Otter«, antwortete er wie aus der Pistole geschossen.
    »Du hast über das Thema wirklich nachgedacht, hm?«
    »Und Mum ist ein Känguru.«
    »Ein Känguru?!«
    »Ja, sie kann sich einfach nicht so richtig daran gewöhnen, dass wir nicht mehr in ihrem Beutel stecken. Mal abgesehen davon, dass ich noch ab und zu hinein- und wieder hinauskrieche.«
    »Was ist Dad?«
    »Brendan hatte auch schon mal so eine Art Zusammenbruch«, wechselte Troy das Thema. Er fing an, Lammfleischstücke und Paprikastreifen auf Holzspieße zu stecken.
    »Wirklich? Das wusste ich nicht.«
    »Er hat gesagt, er spricht sonst mit niemandem darüber. Mir hat er es nur deswegen erzählt, weil er mir klar machen wollte, dass Schmerz ein Fluch, aber zugleich auch ein Geschenk sein kann, und dass es möglich ist, etwas Positives darin zu sehen.«
    »Das hat er gesagt?«
    »Ja. Er hat manchmal ein bisschen was von einem Hippie.«
    »Ich glaube, ich werde mir ein Bier genehmigen.«

    »Dad ist eine Ente.«
    »Ich glaube nicht, dass ihm das gefallen würde.«
    »Enten sind ganz in Ordnung. Sie sind Optimisten.«
    »Und Kerry?«
    »Vielleicht eine Gazelle?«
    »Hat Brendan irgendwas über mich gesagt?« Ich versuchte die Frage möglichst beiläufig zu stellen.
    »Er hat gesagt, er habe dir wehgetan.«
    »Aha.«
    »Stimmt das?«
    »Nein.«
    »Und er hat gesagt, du seist zu stolz, um es zuzugeben.«

    5. KAPITEL
    »Geht es dir gut?«, fragte Mum, sobald sie mir die Tür geöffnet hatte.
    Es ging mir gut. Aber da sie mich ständig danach fragte, noch dazu in diesem mitfühlenden Ton, war mir diese Frage inzwischen sehr unangenehm. Als würde jemand mit Schleifpapier über meine Haut fahren. Ich wusste schon gar nicht mehr, was ich darauf sagen sollte. Ein einfaches »gut«
    reichte nicht mehr aus, das klang zu defensiv. Ich begann zu überlegen, was ein Mensch, dem es wirklich gut ging, auf diese Frage antworten würde – was ich zu meiner Mutter sagen konnte, um sie wirklich davon zu überzeugen, dass das Ganze überhaupt nichts Peinliches hatte, zumindest nicht für mich.
    »Es geht mir bestens«, antwortete ich. »Das Ganze ist überhaupt kein Problem.«
    Zu viel. Meine Mutter war schon wieder voller Mitgefühl.
    »Du siehst sehr hübsch aus, Miranda«, sagte sie.
    Ich sah in der Tat ganz annehmbar aus, auch wenn mir

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