Der falsche Freund
ohnehin nicht ertragen können, jemanden in der Familie zu haben, der sich besser aufs Grillen verstand als er, weil das seine Stellung als Herr und Meister gefährden würde.
Die Vorstellung, Brendan »in der Familie zu haben«, war mir so unangenehm, dass ich eine ganze Weile nichts mehr sagte.
Erst nachdem ich mein Bier geleert und eine zweite Dose geöffnet hatte, begann ich das Ganze etwas lockerer zu sehen.
Ich stand ein Stück von den anderen entfernt und beobachtete, wie Brendan um meine Familie herumscharwenzelte. Ich musste daran denken, dass dieser schmale Gartenstreifen einer von Dutzenden in der Straße war und es in London Millionen davon gab, und plötzlich fand ich es fast rührend, wie bemüht und eifrig Brendan zwischen dem Grill – der mittlerweile schnell und effektiv von Bill in Gang gesetzt worden war – und meinen Eltern hin und her wuselte. Ab und zu stahl er sich an Kerrys Seite und legte kurz den Arm um sie oder flüsterte ihr etwas zu oder sah sie einfach nur liebevoll an, woraufhin sie jedes Mal übers ganze Gesicht zu strahlen begann.
Er half meiner Mutter, das Hühnerfleisch und die Lachsstücke mit Marinade zu bestreichen. Dazwischen fand er irgendwie die Zeit, ins Haus zu gehen und Troy aus dem Winkel zu locken, in den er sich diesmal verkrochen hatte. Er trieb ihn nach draußen und überredete ihn dazu, die Teller zum Esstisch zu tragen und anschließend die Salate zu bringen, die Troy und meine Mutter am Vormittag gemacht hatten. Ein wenig beschämt wurde mir bewusst, dass ich selbst nichts zu den Vorbereitungen beigetragen hatte. Irgendwie ging ich davon aus, dass die Familie Cotton nur zu meinem Nutzen da war, wie eine Art Museum, in dem ich jederzeit auf einen Sprung vorbeischauen konnte, wenn mir danach war. Und bei dem ich mich darauf verlassen konnte, dass andere Leute es in Schuss hielten. Meine Eltern waren dafür da, alles Mögliche für mich zu tun und den Kopf hinzuhalten, wenn etwas schief ging. Hatte ich je einen Gedanken daran verschwendet, auch einmal etwas für sie zu tun?
Als ich schließlich bei meinem dritten Bier angelangt war, wurde meine Stimmung immer versöhnlicher; ich fühlte mich plötzlich mit nahezu allen Menschen auf dieser Welt verbunden, ganz bestimmt aber mit allen in diesem Garten, wenn auch nicht notwendigerweise auf eine besonders fassbare Art.
Brendan legte sich gerade so richtig ins Zeug, machte fünf Sachen gleichzeitig. Meine Mutter lief hektisch hin und her, trug Geschirr und Besteck heraus. Mein Vater hantierte mit dem Grillrost, der unter seiner Last aus Huhn und Fisch immer wieder zu kippen drohte. Kerry unterhielt sich mit Judy, und Troy spielte irgendwas mit Bills Kindern, Sasha und Mitch.
Während ich mir das geschäftige Treiben ansah, fiel mir etwas Seltsames auf: Alle schienen sich prächtig zu amüsieren.
Brendan brachte mir einen Teller mit gegrilltem Huhn und Salat, und ich begann gierig zu essen. Ich brauchte dringend etwas, um das viele Bier aufzusaugen. Vor lauter Hunger fiel mir erst gar nicht auf, dass ich die Erste gewesen war, der Brendan etwas gebracht hatte. Als diese etwas seltsame Tatsache schließlich doch in mein Bewusstsein drang, sah ich zu Kerry hinüber.
Offenbar spürte sie meinen Blick, denn sie drehte sich zu mir um und lächelte. Ich lächelte zurück. Was für eine glückliche Familie.
6. KAPITEL
Ich weiß noch, wie ich Bill mit dreizehn oder vierzehn als unbezahlte Praktikantin in ein Haus in Finsbury Park begleiten durfte, ein kleines Haus mit winzigen Räumen und dunklen Möbeln. Wir standen im Wohnzimmer, wo der Boden mit Laken abgedeckt war. Mein Onkel drückte mir einen Vorschlaghammer in die Hand und forderte mich auf, damit ein Loch in die Wand zu schlagen, die das Zimmer von der Küche trennte. Er musste es mir zweimal sagen, weil ich nicht glauben wollte, dass er das ernst meinte. Die Wand wirkte so stabil, der Raum so klein und trist, dass ich mir einfach nicht vorstellen konnte, dass sich daran etwas ändern ließ. Außerdem konnte man doch nicht einfach so mir nichts, dir nichts eine Wand durchbrechen, oder doch? Aber Bill nickte nur und trat ein Stück zurück. Also hievte ich den Hammer, der so schwer war, dass ich ihn kaum heben konnte, auf meine linke Schulter und schwang ihn mit aller Kraft gegen die Mauer. Sein Gewicht riss mich mit, und ich verrenkte mir dabei fast den Arm. Verputz bröckelte von der Wand, und ein Spalt wurde sichtbar. Nach meinem zweiten Versuch wies die
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