Der falsche Freund
Mauer bereits ein Loch auf.
Es hatte einen zackigen Rand und die Größe meiner Faust. Ein weiterer Schlag, und es war schon so groß, dass ich die Mitte der Küche sehen konnte, ein Abtropfbrett und eine Spüle mit tröpfelnden Hähnen, und dahinter ein kleines Stück des Gartens, an dessen Ende ein Lorbeerbaum stand. Und plötzlich war ich unglaublich aufgeregt – ein wundervolles Gefühl, Dinge auf diese Weise zu öffnen, mit jedem Hammerschlag neue Ausblicke zu schaffen und von einer Sekunde auf die andere Licht in einen so düsteren Raum zu bringen. Ich glaube, in dem Moment ging mir zum ersten Mal durch den Kopf, dass ich dasselbe machen wollte wie Bill, auch wenn er mir Jahre später, als ich ihm das zu erklären versuchte, lächelnd auf die Schulter klopfte und sagte: »Wir sind bloß Maler und Tapezierer, Miranda.«
Noch immer überkommt mich bei meiner Arbeit gelegentlich dieses Gefühl von Euphorie – als hätte ich eine riesige Luftblase in der Brust oder als würde ein Wind durch mich hindurchblasen. Ich spürte es beispielsweise bei dem Dachgarten in Clapham, der irgendwie den Deckel von dem ganzen Haus nahm, und ebenso damals, als wir einen zugemauerten Kamin öffneten, der so riesig war, dass man darin stehen und zu einem pennyförmigen Stück Himmel hinaufsehen konnte. Wände niederzureißen erfüllt mich immer mit frischer Energie. Hin und wieder empfinde ich dasselbe Hochgefühl auch in meinem Privatleben. Es geht mit Übergängen und Veränderungen einher, beispielsweise wenn es Frühling wird oder man sich verliebt. Oder wenn man in ein Land reist, das man noch nicht kennt. Oder eine Krankheit überstanden hat und sich plötzlich wie ein neuer Mensch fühlt.
Als ich von jenem Mittagessen nach Hause kam, fasste ich zwei Beschlüsse: Ich würde meine Wohnung einer Grundreinigung unterziehen, und ich würde zu joggen beginnen.
Das war alles. Trotzdem schrieb ich beide Vorhaben auf die Rückseite eines alten Briefumschlags und unterstrich sie jeweils zweimal, als würde ich sie sonst gleich wieder vergessen. Dann ließ ich mich in meinen Sessel fallen. Ich hatte drei Dosen Bier getrunken und zwei Portionen mariniertes Huhn gegessen, außerdem ein Stück leicht verkohlten Lachs, drei Scheiben Knoblauchbrot und eine Schüssel Eis. Eigentlich hätte ich meine guten Vorsätze auf der Stelle in die Tat umsetzen und eine Runde laufen sollen, bevor es zu dunkel wurde, aber wahrscheinlich war es gar nicht so gesund, mit vollem Magen zu joggen. Außerdem wollte ich nicht mit meiner alten grauen Sporthose, bei der der Bund schon völlig ausgeleiert war, die Hauptstraße entlanglaufen.
Deswegen beschloss ich, mit der Wohnung anzufangen. Ich schlüpfte in eine bequeme Hose und ein ärmelloses Shirt und legte eine schwungvolle CD ein. Eigentlich putze ich meine Wohnung ganz gern. Sie liegt im ersten Stock und ist sehr klein –
ein Schlafzimmer, ein Wohnzimmer mit einem Esstisch an der einen Wand, eine Kochnische, durch deren Fenster man auf einen Flickenteppich aus lauter schmalen Gärten hinaussieht, ein Bad.
Ich genieße es, wenn alles wieder sauber ist – alle Oberflächen von Staub befreit, das Geschirr gespült und aufgeräumt, der Teppich gesaugt, der Boden gewischt, die Zeitungen sauber auf meinem Schreibtisch gestapelt, die Stifte in einer Tasse auf dem Kaminsims, die dreckige Wäsche im Korb, die restlichen Klamotten im Schrank. Es ist ein gutes Gefühl, wenn das Bad blitzt und alles nach Reinigungsmitteln, Politur und Seife riecht.
Als ich schließlich fertig war, hatte ich schmutzige Füße und Arme und eine schweißnasse Stirn. Der Nachmittag war in den Abend übergegangen, und nun, da ich aufgehört hatte, wie eine Wilde durch die Wohnung zu sausen, spürte ich die schneidende Kälte einer wolkenlosen Oktobernacht.
Einige meiner Freunde wohnen äußerst ungern allein. Sie betrachten es nur als Übergang. Ich dagegen finde es schön.
Wenn ich die Haustür hinter mir zuziehe und die Treppe hinaufsteige, freue ich mich jedes Mal, dass oben meine stille Wohnung auf mich wartet. Ich brauche niemanden um Erlaubnis zu fragen, wenn ich mich zwei Stunden in die Wanne legen oder um halb neun ins Bett gehen möchte. Ich kann mitten in der Nacht Musik hören oder mir ein Glas Wein einschenken und mir irgendeine billige Quizshow anschauen. Ich genieße es sogar, allein zu essen, auch wenn ich im Gegensatz zu Troy über ein sehr begrenztes und konservatives Repertoire an Gerichten verfüge. Manchmal
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