Der falsche Freund
regelrecht vor ihm grauste. Als wäre er ein Parasit, der sich in mein Fleisch gefressen hatte und den ich nun nicht mehr loswurde.
»Das muss ein Ende haben«, sagte ich. »Ihr könnt nicht hier bleiben.«
»Das spielt keine Rolle«, antwortete er. »Hast du denn nicht gehört, was ich gesagt habe? Du hast so ein geheimes Lächeln.
Ich habe es gesehen. Ich kenne dich auf eine Art und Weise, wie dich niemand sonst kennt. Das verbindet uns. Gute Nacht, Miranda.«
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte ich zunächst das Gefühl, aus einem schlimmen Traum erwacht zu sein, aber dann wurde mir plötzlich klar, dass es kein Traum gewesen war.
Brendan war tatsächlich in meinem Zimmer gewesen und hatte diese verrückten Dinge zu mir gesagt. Mein Mund fühlte sich an, als wäre er voller trockener Flusen. Mein Kopf schmerzte, und ich spürte ein Stechen hinter den Augen. Ich ging unter die Dusche, zog mich an und trank eine Tasse schwarzen Kaffee.
Außer mir war noch niemand auf. Bevor ich zur Arbeit aufbrach, kehrte ich noch mal in mein Zimmer zurück. Ich betrachtete meine Bücherregale, versuchte durch bloße Konzentration festzustellen, ob etwas anders war als sonst. Ich griff nach einem alten Roman, den ich als junges Mädchen geschenkt bekommen hatte. Das Buch war mein Notfall-Geldversteck. Zwischen den Seiten steckten immer ein paar Scheine. Ich zählte das Geld. Fünfundsiebzig Pfund. Während ich die Scheine wieder in das Buch legte und es zurück an seinen Platz stellte, überlegte ich, was ich tun konnte. Mir fiel etwas ein, das ich mal in einem Film gesehen hatte. Ich riss von einem Zettel einen ganz schmalen, etwa drei Zentimeter langen Streifen ab. Als ich ging, schob ich das Papier in den Türspalt, genau auf Höhe der unteren Angel. Während ich die Wohnung verließ, fragte ich mich, wie ich es überhaupt ertragen konnte, unter Bedingungen zu leben, die mich zu solchen Maßnahmen zwangen.
Den ganzen Tag musste ich daran denken. Sosehr ich mich auch bemühte, es ging mir nicht aus dem Kopf. Inzwischen tat es mir fast Leid, dass ich zu der List mit dem Streifen gegriffen hatte, denn irgendwie war es, als hätte ich damit eine ätzende Säure auf meinen Körper geschüttet und müsste nun zusehen, wie mir das Zeug das Fleisch von den Knochen fraß. Was brachte mir das Ganze überhaupt? Falls ich feststellen sollte, dass der Streifen noch da war, würde ich dann wirklich beruhigt sein? Und wenn er auf dem Boden lag, was bewies das?
Womöglich war Kerry in mein Zimmer gegangen, um sich mein Deo auszuleihen oder netterweise den Boden zu saugen. Aber vielleicht wollte ich ja genau das? Konnte es sein, dass ich nach Möglichkeiten suchte, noch wütender und misstrauischer zu werden?
Als ich abends nach Hause kam, war meine Wohnung ausnahmsweise mal verlassen. Sofort lief ich zur Schlafzimmertür und fand dort eine Variante vor, die ich überhaupt nicht in Erwägung gezogen hatte. Der Papierstreifen steckte noch fest in der Tür – allerdings fast einen halben Meter höher, als ich ihn am Morgen platziert hatte.
14. KAPITEL
»Nick«, fing ich an.
»Mmm?«
Wir spazierten über die Heath, unter unseren Füßen raschelte dürres, bernsteinfarbenes Laub. Inzwischen waren die Bäume fast kahl, und die Sonne stand bleich und tief am Himmel. Es war noch nicht mal vier, aber die Uhren waren vorgestellt worden, sodass es schon sehr früh dunkel wurde. Ich hatte meine kalte Hand in Nicks warme geschoben, mein Atem bildete weiße Wolken. Wir hatten uns in einem Bistro in der Nähe seiner Wohnung auf ein spätes Mittagessen getroffen, und abends würden wir auf eine Party gehen, die ein Freund von ihm gab. Hinterher würde ich bei ihm übernachten, auch wenn er das noch nicht wusste. Ich hatte meine Zahnbürste und einen extra Slip in der Tasche.
»Ich wollte dich was fragen …«
»Ja?«
Ich verlangsamte meine Schritte.
»Du weißt doch, dass Kerry und Brendan noch ein bisschen länger bei mir bleiben müssen, und …«
»Du möchtest, dass wir heute bei mir schlafen und nicht bei dir? Ist es das, was du mich fragen wolltest?«
»Ja, das auch, aber …«
»Ich wollte dir das sowieso vorschlagen. Wir zwei brauchen auch mal ein bisschen Privatsphäre, oder?« Er drückte meine Hand.
»Was hältst du davon, wenn ich für ein paar Tage zu dir kommen würde? Bloß, bis sie wieder weg sind.«
Als ich hochblickte, sah ich auf seinem Gesicht einen Anflug von Stirnrunzeln, und für einen Moment wirkte seine
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