Der falsche Freund
Ahnung.«
»Ist es schwierig, so was hinzukriegen?«
»Verglichen womit?«, wollte er wissen. »Mit einer Gehirnoperation?«
»Mit einem normalen Bart.«
»Bis jetzt hatte ich keine größeren Schwierigkeiten damit.«
»Ich heiße Miranda.«
»Ich weiß«, antwortete er. »Sie sind die Frau, die aus ihrer eigenen Wohnung ausgezogen ist.«
»Es ist nicht so aufregend, wie es klingt. Das Ganze ist eine ziemlich jämmerliche und deprimierende Geschichte.«
»So wie sie mir erzählt wurde, klang sie ziemlich komisch«, entgegnete Callum.
»Das mag schon sein«, räumte ich ein. »Aber in Wirklichkeit ist sie ziemlich traurig.«
Obwohl ich mir allmählich vorkam wie Coleridges alter Seemann, schilderte ich ihm die ganze Story. Während ich redete, bugsierte er mich zum Büffet hinüber und drückte mir einen Teller mit Schweinebraten und zwei Sorten Salat in die Hand. Ich hatte die Geschichte inzwischen ja schon mehreren Leuten erzählt, aber seltsamerweise klang sie diesmal tatsächlich komisch, was zum Teil wohl daran lag, dass Callum ungefähr zehn Zentimeter größer war als ich und ihm die ganze Zeit sein krauses Haar in die Stirn fiel, während er mit leicht fragendem Gesichtsausdruck zu mir herunterblickte. Außerdem ist es schwierig, ernst und würdevoll zu bleiben, wenn man gleichzeitig eine Geschichte erzählen, aus einer Flasche trinken, einen Teller halten und obendrein noch von diesem essen soll.
»Das Beste wäre«, erklärte Callum, nachdem ich zu Ende erzählt hatte, »Sie würden sie einfach rauswerfen.«
»Das kann ich nicht«, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen.
»Dann tun Sie doch so, als würden Sie Urlaub machen, nur dass Sie eben nicht im Hotel, sondern zu Hause übernachten. Sie haben jemanden, der auf Ihre Wohnung aufpasst, sodass Sie jeden Tag losziehen und sich in London amüsieren können.«
Unser Gespräch wandte sich nun anderen Themen zu. Er wusste bereits, was ich beruflich machte, und wie die meisten anderen Menschen war er äußerst beeindruckt davon, dass ich mir meinen Lebensunterhalt verdiente, indem ich auf Leitern stieg oder Holzstücke auseinander sägte. Zum Schluss fragte er mich nach meiner Telefonnummer, worauf ich ihm zur Antwort gab, ich hätte keine, das sei doch der Knackpunkt meiner ganzen Geschichte, er habe mir wohl nicht richtig zugehört. Lachend antwortete er, er sei ein Freund von Tony und werde mich dort anrufen.
Ein wenig verlegen stellte ich fest, dass Laura und Tony wohl schon eine ganze Weile in der Nähe gestanden und auf mich gewartet hatten, weil sie allem Anschein nach aufbrechen wollten. Obwohl doch eigentlich ich diejenige war, der es nicht gut ging, schien ich mich auf der Party ihrer Freundin besser amüsiert zu haben als sie selbst. Während der Heimfahrt musste ich wieder an das denken, was Callum gesagt hatte.
»Ich werde sie rauswerfen«, erklärte ich.
Laura wandte sich mit einem fragenden Blick zu mir um.
»Was?«
»Ich habe mich in diesen ganzen Mist so tief reinziehen lassen, dass ich schon gar nicht mehr klar denken konnte«, erklärte ich.
»Doch ab sofort werde ich mich wieder wie ein normaler Mensch benehmen. Ich werde für Kerry und Wiehießernochmal eine andere Lösung finden, und wenn ich die beiden in einem Hotel unterbringen muss!«
»Du kannst aber wirklich noch bei uns bleiben«, sagte Laura.
»Nicht wahr, Tony?«
»Was?«
»Miranda kann doch noch bei uns bleiben, oder?«
»Du bist der Boss.«
»Oh, mein Gott!«
Ich mischte mich ein.
»Nein, ihr wart beide ganz wunderbar. Ich habe nur das Gefühl, in einem Raum eingesperrt zu sein, in dem die Heizung läuft und die Vorhänge zugezogenen sind und irgendwas vor sich hin fault. Ich werde die Vorhänge öffnen und die Fenster aufreißen.«
»Und was machst du mit dem fauligen Ding?«, fragte Laura.
»Das hat wahrscheinlich nur in meiner Einbildung existiert.
Wenn andere Leute glauben, sich seltsam verhalten zu müssen, dann ist das deren Problem. Ich werde von jetzt an wieder mein eigenes Leben leben.«
»Es ist schön, dich so reden zu hören. Woher der plötzliche Sinneswandel?«
Ich lachte.
»Vielleicht war es das Gespräch mit Callum. Ich hatte das Gefühl, mich in einer griechischen Tragödie zu befinden. Dabei ist es wahrscheinlich nur eine Situationskomödie.«
20. KAPITEL
Ich schnürte meine Laufschuhe und trank ein Glas Wasser, ehe ich die Haustür öffnete. Es war halb sieben Uhr morgens, noch dunkel draußen und viel kälter als am
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