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Der falsche Freund

Titel: Der falsche Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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die Bescherung. So weit ist es mit mir gekommen. Nun schau mal, ob du mir helfen kannst.
    Ich rechnete damit, dass meine Mutter bei meinem Anblick wieder zu weinen anfangen würde, aber sie schien mit ihren Gedanken woanders zu sein. Als sie mir die Tür öffnete, kam es mir fast so vor, als würde sie einen Moment lang suchend über meine Schulter schauen, ob nicht noch jemand hinter mir stand.
    »Schön, dass du gekommen bist, Miranda«, sagte sie, aber es klang, als spräche sie einen Text, den jemand anders für sie geschrieben hatte. »Dein Vater ist nicht da.«
    »Wo ist er denn?«, fragte ich erstaunt, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass er nach alledem schon wieder einen Termin hatte.
    »Wo?«, wiederholte meine Mutter leicht benommen, als hätte sie irgendwas genommen.
    »Was ist mit Kerry und Brendan?«
    »Sie sind auch unterwegs. Möchtest du eine Tasse Tee?«
    »Gern. Ich muss vorher nur schnell nach oben.«
    Das ist das Gute am Haus der Eltern. Man ist dort immer noch irgendwie daheim. Man kann überallhin, jeden Schrank aufmachen. Ich würde etwas Schreckliches tun, und ich wusste selbst kaum, warum. Es war, als wollte ich mir ein Taschenmesser holen, um damit in einem Abszess an einem meiner Zähne herumzustochern und mir auf diese Weise immer stärkere Qualen zuzufügen, bis mich der Schmerz irgendwann völlig überwältigen und dann verschwinden oder aber ich selbst verschwinden würde.
    Nachdem meine Mutter in die Küche gegangen war, rannte ich die Treppe hinauf und in das Zimmer, in dem jetzt Kerry und Brendan wohnten. Mein ganzer Körper stand unter Strom, meine Ohren summten. Ich konnte richtig hören, wie das Blut durch meine Adern pulsierte.
    Es war offensichtlich, dass sie nur kurze Zeit in dem Zimmer bleiben würden, sie hatten fast nichts ausgepackt. Auf dem Bett lagen Kerrys Bademantel und ein Nachthemd. Ein Koffer lehnte halb offen an der Wand. Auf dem Tisch in der Ecke standen ein paar Flaschen, Shampoo, Haarspülung, Bodylotion, Parfüm, alles von Kerry. Ich blickte mich um. Eins war seltsam. Kerry hätte genauso gut allein hier wohnen können. Ich konnte kein einziges Ding, kein einziges Kleidungsstück entdecken, das Brendan gehörte. Neben dem Bett stand ein zweiter, geschlossener Koffer. Ich legte ihn flach auf den Boden und öffnete ihn. Brendans Klamotten. Ich würde höchstens eine Minute brauchen. Nacheinander hob ich seine Hemden, Hosen und Unterhosen hoch und stapelte sie verkehrt herum auf dem Boden, damit ich sie hinterher in der richtigen Reihenfolge zurücklegen konnte. Der Koffer war fast leer, als ich auf der Treppe Schritte hörte. Nein, eigentlich spürte ich sie mehr, als dass ich sie hörte. Ich hatte nicht mal mehr Zeit, mich von den Knien zu erheben, so schnell flog die Tür auf. Vor mir stand Brendan. Den Bruchteil einer Sekunde hatte ich gedacht: Na und wenn schon? Als ich dann aber seine Miene sah, dachte ich: Oh, verdammt. Zuerst wirkte er nur überrascht, was ja kein Wunder war, schließlich durchwühlte ich gerade seinen Koffer, hatte seine ganzen Sachen um mich herum ausgebreitet.
    »Miranda?«, fragte er. »Was zum …«
    Ich versuchte mir etwas einfallen zu lassen, aber mein Gehirn hatte sich in zähen Brei verwandelt.
    »Ich hab etwas vergessen«, stammelte ich aufs Geratewohl.
    »Ich meine, ähm, ich dachte, du hättest aus Versehen etwas von mir mitgenommen.«
    »Nämlich?« Inzwischen wirkte er ziemlich wütend.
    Hinter ihm tauchte Kerry auf.
    »Brendan?«, fragte sie. Ihr Blick fiel auf mich.
    »Den Strick«, antwortete ich. »Ich dachte, du hättest versehentlich meinen Strick mitgenommen.«

    24. KAPITEL
    »Was?«, fragte Kerry ungehalten. »Was für einen Strick?«
    »Lieber Himmel!«, sagte Brendan. »Sieh sie dir an!«
    »Was für einen Strick?«, wiederholte Kerry.
    Sie trat einen Schritt vor, sodass sie nun, die Hände in die Hüften gestemmt und mit knallrot angelaufenem Gesicht, auf mich herabstarrte. Es war, als wären ihre ganze Zurückhaltung, Ängstlichkeit und Schüchternheit durch Kummer und Wut weggeätzt worden. Ich stand auf. Um mich herum lagen immer noch Brendans Klamotten.
    »Ich weiß auch nicht. Ich dachte nur …« Ich sprach den Satz nicht zu Ende.
    »Du hast in Brendans Sachen herumgesucht! Was um alles in der Welt hast du dir dabei bloß gedacht?«
    »Ich habe meine Wohnung aufgeräumt«, antwortete ich.
    »Und? Und?«
    »Habe ich das jetzt richtig verstanden?«, fragte Brendan.
    »Du wühlst in meinem Zeug herum«

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