Der falsche Freund
versuchte sogar dann noch Verständnis für sie zu haben, als sie anfing, seltsam zu werden. Als sie das Bad überflutete und es dann Brendan in die Schuhe schieben wollte. Als sie ihm hinterherspionierte und alte Freunde von ihm aufspürte. Wie eine gottverdammte Schnüfflerin! Selbst da dachte ich noch, es würde alles wieder in Ordnung kommen. Inzwischen ist mir klar geworden, wie blöd das von mir war. Wie unglaublich blöd!
Inzwischen wissen wir ja alle, was abläuft. Es geht dabei nicht bloß um Brendan, sondern auch um mich. Ihre ältere Schwester.
Sie war immer schon eifersüchtig auf mich, wollte immer alles kaputtmachen, was ich hatte. Wie das mit Mike. Und jetzt seht sie euch an. Seht sie euch an!« Wieder deutete sie mit dem Finger auf mich. »Troy ist tot. Er hat sich umgebracht. Unser lieber kleiner Bruder hat sich in ihrer Wohnung umgebracht.
Gestern war seine Beerdigung. Hält sie das von irgendwas ab?
Nein. Nichts kann sie stoppen. Schon am nächsten Morgen, am Morgen nach seiner Beerdigung, taucht sie hier auf und fängt an herumzuschnüffeln. Nicht einmal Troys Tod kann sie davon abhalten.«
Sie begann so heftig zu schluchzen, dass ihre schmalen Schultern zuckten. Brendan ging zu ihr und legte ihr den Arm um die Taille.
»Es hat nichts mit dir zu tun, Kerry«, sagte er in sanftem Ton.
»Glaub mir. Du hast gerade von Besessenheit gesprochen. Das ist wahrscheinlich genau das richtige Wort dafür. Ich denke mir das schon eine ganze Weile. Mittlerweile mache ich mir fast Vorwürfe, weil ich nicht eher etwas unternommen habe. Sie verfolgt mich ja regelrecht. Würde sie nicht zur Familie gehören, hätte ich längst die Polizei informiert und um Schutz gebeten. Ich habe von solchen Fällen gelesen. Ich glaube, es gibt sogar einen bestimmten Namen dafür, auch wenn ich mich nicht mehr daran erinnern kann. Wahrscheinlich ist das Ganze zwanghaft, und sie kann gar nicht anders.«
»Nein«, widersprach ich. »Sag nicht solche Sachen.«
»Miranda«, meldete sich meine Mutter mit ihrer neuen, ausdruckslosen Stimme zu Wort. »Es ist an der Zeit, die Dinge endlich beim Namen zu nennen. Dinge, vor denen wir bisher die Augen verschlossen haben. Ich glaube, ich habe es mir selbst nicht so richtig eingestanden, aber nun, da Troy tot ist, kann ich alles aussprechen. Vielleicht brauchst du professionelle Hilfe.«
»Du verstehst das nicht«, sagte ich. »Keiner versteht es.«
Ich wandte mich an meinen Vater. »Du hältst mich nicht für besessen, oder?«
»Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll«, antwortete er.
»Aber eines weiß ich.«
»Was?«
»Du wirst dich auf der Stelle bei Brendan entschuldigen. Dass in unserer Familie eine Tragödie passiert ist, bedeutet nicht, dass wir jetzt alle Narrenfreiheit haben und uns nicht mehr wie anständige menschliche Wesen zu benehmen brauchen.«
»Aber ich …«
»Egal, was du jetzt sagen willst, ich möchte es nicht hören!«, fiel er mir ins Wort. »Du entschuldigst dich bei Brendan. Hast du mich verstanden? Das ist ja wohl das Mindeste, das wir von dir erwarten können.«
Ich betrachtete einen Moment lang sein eingefallenes Gesicht, die leeren Augen meiner Mutter. Dann stand ich auf und wandte mich an Brendan. Er starrte mich erwartungsvoll an. Ich ballte die Hände zur Faust, bis sich meine Fingernägel tief in meine Handflächen gruben.
»Tut mir Leid«, sagte ich.
Mit einem leichten Nicken nahm er meine Entschuldigung an.
»Mir tut es auch Leid, Mirrie. Vor allem für dich. Ich habe großes Mitleid mit dir.«
Ich wandte mich an meine Eltern.
»Kann ich jetzt gehen?«, fragte ich.
Schweigend setzten wir uns alle gemeinsam nach unten in Bewegung. Kerry schluchzte immer noch leise vor sich hin. An der Haustür blieb ich stehen.
»Ich habe meine Tasche noch oben«, erklärte ich. »Ich hole sie schnell, dann seid ihr mich los.«
Trotz der stechenden Schmerzen in meinem Kopf nahm ich jeweils zwei Stufen auf einmal. Im Zimmer von Brendan und Kerry angekommen, kauerte ich mich auf den Boden und fasste unter die Kommode, schob meine Hand so weit wie möglich in den schmalen Spalt, auf den ich vorhin vom Bett aus gestarrt hatte, und zog den zusammengerollten Rest des grünen Stricks heraus.
25. KAPITEL
Detective Inspector Rob Pryor war nett, ein ganz normaler Mensch, dem man auch draußen in der realen Welt irgendwo begegnen hätte können. Er hatte lockiges blondes Haar und eine entspannte, fast ein wenig träge wirkende Art. Nachdem er mich
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