Der falsche Mann
durchquerte.
» Hey, Rockstar.«
Nur fürs Protokoll: Ich bin lediglich sieben Jahre älter als Bradley. Er hat vor drei Jahren sein Jurastudium abgeschlossen und ist seit drei Monaten bei uns. Ich mag den Jungen, zeige es ihm aber so selten wie möglich.
An diesem Nachmittag erwarteten mich ein Drogenprozess sowie eine Verhandlung vorm Bundesgericht wegen Waffenbesitz. Der Drogenfall war ein Junge, der mit Pillen gedealt hatte – unter anderem mit solchen, die ganz oben auf der Liste verbotener Substanzen standen –, was ihm selbst als Ersttäter bis zu sechs Jahre einbringen konnte. Bei der Waffengeschichte hatten die Cops die Verhaftung vorgenommen, aber irgendwann hatte sich das FBI eingeschaltet, und die konnten das Strafmaß – an staatlichen Richtlinien gemessen – in stratosphärische Höhen treiben. Allerdings rechnete ich mir gewisse Chancen aus, denn der Junge hatte während der Verfolgung die Waffe unbeobachtet wegwerfen können.
Beide Fälle waren erträglich, denn die Mandanten hatten im Voraus bezahlt, außerdem würden wohl beide vor Gericht gehen – das Einzige, was in diesen Tagen meinen Puls noch richtig beschleunigen konnte. Und was den Termin um halb elf betraf, so handelte es sich – nach allem, was ich dem gestrigen Telefonat zwischen den Zeilen entnommen hatte – möglicherweise um einen Mordfall.
Der Kerl hieß Lorenzo Fowler. Er war mittelgroß, speckig um die Hüften und hatte schwere Tränensäcke unter den blutunterlaufenen Augen. Er trug ein am Kragen offenes weißes Hemd und ein billiges Wollsakko. Außerdem hatte er zu viel Eau de Cologne benutzt – jedes Eau de Cologne ist zu viel –, und er drückte meine Hand zu kräftig, bevor er sich auf der anderen Seite meines Schreibtischs niederließ.
Er strich mit den Händen über die Armlehnen des Sessels und trommelte mit den Füßen auf den Boden. Die Nerven. Keinesfalls unüblich in meiner Branche.
» Also hier gilt die anwaltliche Schweigepflicht, oder?«, fragte er.
» Sind Sie in einer führenden Position im öffentlichen Dienst?«
Er legte den Kopf schief. » Was? Nein.«
» Werden Sie mir von einem Verbrechen erzählen, das Sie in der Zukunft begehen wollen?«
» Nein, nichts dergleichen.«
» Dann unterliegt alles, was Sie mir erzählen, der anwaltlichen Schweigepflicht.«
Er nickte.
» Ich hab da ein paar, äh, rechtliche Probleme«, sagte er. Damit unterschied er sich in nichts von anderen Menschen, die meine Kanzlei aufsuchten.
» Erzählen Sie mir davon.«
» Ist nicht wichtig.«
Interessante Antwort. » Wofür wollen Sie mich dann anheuern? Soll ich eine Geburtstagsparty für Ihr Kind organisieren?«
Er musterte mich aus zusammengekniffenen Augen. Offensichtlich fand er mich nicht sonderlich witzig.
» Die haben mich wegen einer Sache im Visier. Wegen was Bestimmtem, das ich gemacht hab oder vielleicht auch nicht gemacht hab.«
Ich nickte zustimmend. » Sie brauchen einen Anwalt.«
Er schüttelte den Kopf. » Nein, dafür hab ich schon einen Anwalt.«
Ich hatte genug davon, ihm die Würmer aus der Nase zu ziehen. Irgendwann würde er es schon von selbst ausspucken.
» Wie auch immer.« Er schnappte nervös nach Luft und blickte sich im Büro um. » Falls die Sache zu heiß wird, dann überlege ich … Also, ich hab da was, um einen Deal auszuhandeln. Ich weiß was über einen anderen Fall.«
Ich legte beide Hände flach auf den Tisch. Bisher hatte diese Unterredung noch keinerlei Notizen erforderlich gemacht. » Mr. Fowler, wenn Sie bereits einen Rechtsvertreter haben, besprechen Sie das mit ihm. Oder mit ihr. Aber nicht mit mir.«
Er wackelte mit dem Kopf. Dann befeuchtete er sich die Lippen und studierte die Wände meines Büros, die billigen Kunstdrucke und die Diplome. Seine Nerven mussten ihm wirklich zu schaffen machen.
» Das ist eine Geschichte, über die ich nicht mit ihm reden kann.«
Irgendetwas passte hier nicht zusammen. Und dafür gab es nur eine Erklärung.
» Für wen arbeiten Sie?«, fragte ich. » Die Morettis? Die Capparellis?«
Er senkte den Kopf, dann lächelte er. Ich wünschte, das hätte er unterlassen. Vermutlich hatte er schon seit Jahrzehnten keinen Zahnarzt mehr besucht.
» Capparellis«, sagte er.
Aha. Fowler arbeitete für das organisierte Verbrechen, die Mafia, für das, was von den alten Syndikaten übrig geblieben war, nachdem das FBI ihre Organisationen in großen Teilen zerschlagen hatte. In dieser Stadt waren sie längst nicht mehr das, was sie einmal
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