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Der falsche Mann

Der falsche Mann

Titel: Der falsche Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ellis
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einen Rückfall in eine Kriegssituation erlebt, oder er hatte aufgrund seiner Schizophrenie halluziniert.
    » Spielt das eine Rolle für Ihre Verteidigung?«, fragte er.
    Es war sogar die entscheidende Frage. » Ich muss eine geistige Störung nachweisen«, sagte ich. » Und beides sind anerkannte geistige Störungen. Theoretisch könnte ich also vor Gericht erklären: Es war entweder PTBS oder Schizophrenie, suchen Sie sich was aus. Aber so was kommt bei Jurys schlecht an.«
    Ich selbst gab PTBS den Vorzug. Dieses Leiden bot eine gute Vorlage, um der Jury alles über Toms schreckliche Erfahrungen als Kriegsveteran im Irak zu berichten. Obwohl ich das Dr. Baraniq natürlich nicht auf die Nase band.
    » Ich habe viel mehr Erfahrung mit PTBS -Gutachten«, erklärte der Arzt. » Allerdings lässt sich die Schizophrenie bei Tom problemloser diagnostizieren. Da spielt es nämlich keine Rolle, über was er und ich miteinander reden. Ich muss ihn einfach nur beobachten und die Protokolle und die Laborberichte lesen. Außerdem behandelt ihn das Staatsgefängnis mit Psychopharmaka und Beruhigungsmitteln, was meiner Diagnose entspricht. Dementsprechend leicht lässt sich diese Einschätzung vor Gericht vertreten. Aber bei PTBS ? Da muss ich wissen, in welchem Zustand er zum Zeitpunkt der Tat war. Und ich muss herausfinden, was ihm im Irak zugestoßen ist. Aber dazu muss Tom mit mir reden. Er muss über die Tatnacht sprechen. Und über den Irak. Und beides tut er nicht.«
    Ich stieß einen tiefen Seufzer aus. Dieses Problem hatte Childress mir bereits geschildert, doch es von einem Experten aus erster Hand zu hören, war ein Nadelstich in meinen Ballon.
    » Aber Sie können ihm doch ganz allgemein PTBS attestieren«, sagte ich.
    » Natürlich kann ich das.«
    » Und wir gehen doch sicher alle davon aus, dass der Krieg im Irak alles andere als erfreulich war.«
    » Besonders für einen Army Ranger.«
    » Und was die Tatnacht betrifft – Tom redet zwar nicht darüber, aber Sie haben sein Verhör auf Band.«
    » Ja. Und ich glaube, darauf erleben wir einen PTBS -Vorfall.«
    Ich nickte und spürte wieder Rückenwind. » Und ausgelöst wurde dieser Vorfall offensichtlich durch einen Blick auf das Foto des Opfers. Ist es da nicht naheliegend, dass er einen ähnlichen PTBS -Vorfall erlitt, als er auf sie schoss?«
    Der Arzt musterte mich skeptisch. So viel zum Thema Rückenwind.
    » Natürlich besteht da eine gewisse Wahrscheinlichkeit«, sagte er. » Aber kann ich wirklich mit wissenschaftlicher Bestimmtheit aussagen, dass Tom an PTBS litt, während er diese Frau erschoss?«
    Er beantwortete seine eigene Frage nicht. Was bereits eine Antwort in sich darstellte.
    Shauna Tasker räusperte sich. » Sie sagten, im Staatsgefängnis wird Tom wegen Schizophrenie behandelt?«
    » Ich sagte, die Medikation entspricht einer solchen Diagnose.« Dr. Baraniq lächelte, als wollte er sich entschuldigen. » Das ist jetzt keine Haarspalterei. Sie geben ihm Neuroleptika, die seine Wahnvorstellungen und Halluzinationen eindämmen. Außerdem erhält er stimmungsstabilisierende Beruhigungsmittel. Mit genau diesen Medikamenten würde ich einen Schizophrenen behandeln. Allerdings werden sie auch in anderen Zusammenhängen eingesetzt. Sie lassen also nicht zwingend darauf schließen, dass er schizophren ist.«
    Shauna nickte pflichtbewusst, als er geendet hatte. Meiner Erfahrung nach konnten Gespräche mit medizinischen Experten ziemlich frustrierend sein, da sie fast all ihre Aussagen wieder relativierten. Man hätte ein Ablaufdiagramm benötigt, um ihrer verschlungenen Argumentation zu folgen. Ähnlich ging es den meisten Menschen wohl nach einem Gespräch mit einem Anwalt.
    » Hatte Tom Wahnvorstellungen oder Halluzinationen während seines Aufenthalts im Boyd?«, fragte ich.
    Dr. Baraniq zuckte mit den Achseln. » Nicht dass ich wüsste. Aber das bedeutet nicht, dass er keine hatte. Möglicherweise hat er nur niemandem davon erzählt. Tom kann auf einem Stuhl sitzen und Ihnen zuhören, während sein Bewusstsein in hundert Richtungen galoppiert. Wenn Sie dann noch die Medikamente einkalkulieren, die sein Gefühlsleben stark abdämpfen, müssen sich die Symptome nicht unbedingt offen manifestieren.«
    » Besonders wenn niemand darauf achtet«, sagte ich.
    » Exakt.« Dr. Baraniq deutete auf mich. » Das Gefängnissystem will ihn sediert und gefügig, und das gilt besonders für die Untersuchungshaft. Aber sie sind nicht daran interessiert, seine

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