Der falsche Mann
die Handtasche, das Telefon und die Halskette geraubt. Daher habe ich Zweifel, ob wir damit durchkommen. Allerdings gehe ich davon aus, dass wir die Geschworenen im Verlauf unserer Argumentation so für Stoller einnehmen können, dass sie für einen Freispruch stimmen.«
» Aber er hat doch einen Rückfall in den Irakkrieg erlebt, oder?«
Lightner drehte seinen Kopf träge – will sagen: herablassend – in Jung-Bradleys Richtung. » Glaubst du vielleicht, er hat sich bei den Al-Qaida-Terroristen entschuldigt, als er sie erschoss?«
» Vielleicht hat er das.« Shauna war für ihren heutigen Gerichtstermin apart gekleidet. Ihre blonden, inzwischen wieder etwas längeren Locken umrahmten ihr hübsches Gesicht. Und sie trug diese sexy Bibliothekarinnen-Hornbrille, was ganz offensichtlich Joels Blut in Wallung brachte. » Ganz im Ernst«, sagte sie. » Vielleicht fühlte er sich schlecht, weil er andere Menschen umbrachte. Was ist so merkwürdig daran? Ich meine, ist das nicht der eigentliche Grund, warum der Krieg Menschen so kaputt macht?«
Ich hob die Hände. » Ist gut, Leute. Ich stimme euch zu. Wir verwenden das. Und wir beziehen ein, was er der Polizei beim Verhör erzählt hat. Dennoch wird die Jury ausdrückliche Instruktionen erhalten – und laut diesen müssen wir eindeutige Beweise dafür vorlegen können, dass Tom aufgrund seiner geistigen Störung über kein Unrechtsbewusstsein verfügte. Also müssen wir dafür sorgen, dass die Geschworenen die Instruktionen missachten und ihn trotzdem freisprechen, weil sie in ihm ein Opfer sehen.«
Ich marschierte im Raum auf und ab. Wie gerne hätte ich jetzt meinen Football in der Hand gehabt, aber ich hatte ihn irgendwo unauffindbar in meinem Büro verstaut. » Joel«, sagte ich. » Ich brauche aktuelle Befragungen von allen, die mit Tom im Irak gedient haben. Jemand muss uns darüber berichten, was dort passiert ist. Speziell über alles, was in Zusammenhang mit Tom steht. Wenn Tom uns nichts erzählen kann, können es vielleicht andere. Hoffentlich – und ich kann kaum fassen, dass ich das sage –, hoffentlich hat er dort drüben Menschen umgebracht.«
» Und es wäre vermutlich ein Volltreffer, wenn er eine junge Frau getötet hätte, die aus einem Wagen stieg und dabei eine Pistole auf ihn gerichtet hielt?«
» Ja, Joel, das wäre genial.« Er erinnerte mich daran, wie schwierig dieser Fall lag. PTBS -Flashbacks wurden laut Dr. Baraniq durch Situationen ausgelöst, die den ursprünglichen traumatischen Erfahrungen ähnelten. Daher war es nur schwer zu begründen, wieso die Begegnung mit einer gut gekleideten, zierlichen jungen Frau Tom Stoller in den Irak zurückversetzt haben sollte. Doch es war alles, was wir hatten.
» Bradley«, fuhr ich fort. » Vertief dich in die einschlägigen juristischen Werke. Ich will jedes Gerichtsurteil in Zusammenhang mit PTBS . Der Pflichtverteidiger hat da bereits Recherchen angestellt, aber ich will, dass du alles noch mal durchgehst. Wir müssen wissen, welche Argumente der Verteidigung gefährlich werden können, welchen Stellenwert theoretische Hypothesen im Vergleich zu Schilderungen aus erster Hand haben. Ich will Beispiele, wo der Angeklagte nicht über das Trauma reden wollte, aber trotzdem als PTBS -Fall anerkannt wurde. Behalte dabei im Auge, dass einige Urteile den alten M’Naghten-Regeln zu Zwangshandlungen folgen, andere den modifizierten ALI -Richtlinien. Ich möchte vorzugsweise einen Urteilsspruch, der sich auf die ALI -Richtlinien bezieht, so wie wir es tun. Aber ich bin nicht gierig.«
» Verstanden. Ich kümmere mich sofort darum.« Bradley schien Feuer und Flamme für den Fall.
» Shauna«, sagte ich. » Du nimmst dir die Forensik vor, die Blutlache und die Protokolle der Rechtsmediziner. Schließlich muss die Tat nicht unbedingt so abgelaufen sein, wie es die Staatsanwaltschaft behauptet. Und wenn wir diesen Kerl anheuern müssen – wie war noch mal sein Name, Peters? –, dann lass uns reden, und wir machen es möglich.«
» Und wenn du damit fertig bist, Shauna«, sagte Joel, » dann kommst du bei mir vorbei. Wir köpfen eine Flasche Wein und sprechen über alles.«
Shauna verdrehte die Augen und nickte mir zu. » Und worin besteht dein Job?«
» Mein Job?« Ich streckte die Arme. » Ich werde dafür sorgen, dass Tom Stoller sich mit mir unterhält.«
10
Lorenzo Fowler war ein verheirateter Mann, daher mussten seine Treffen mit Sasha immer in ihrer Wohnung stattfinden. Genau genommen war
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