Der falsche Mann
denken. Das ist was typisch Männliches. Zumindest für Alpha-Männchen.«
» Ist es das? Übe ich Kontrolle aus?«
» Irgendwas in der Art, ja.«
» Vielleicht solltest du lieber Psychologie im Hauptfach studieren, Tori.«
» Dasselbe wollte ich dir auch schon empfehlen.«
» Erfahrung ist besser als jede Psychoanalyse«, sagte ich.
» Wer hat das gesagt?«
» Ich hab das gesagt. Ich bin ja auch der Einzige, der neben dir hergeht.«
» Das habe ich nicht …«
» Schon klar. Du wolltest wissen, wen ich zitiere?«
Sie schüttelte irritiert den Kopf. Sie hatte gerade einen Test bestanden. Den Test, ob sie meine Scherze ertragen konnte. Offensichtlich konnte sie es, zumindest für zehn Minuten.
Es war die Jahreszeit, in der sich das Wetter auf nichts festlegt, und die Menschen nutzten die halbwegs warmen und heiteren Tage, um draußen Spaß zu haben, bevor der Winter endgültig seine düstere Decke über alles breitete. Eltern schleppten ihre Kinder durch überfüllte Straßen. Überall hingen Studenten herum wie rastlose Seelen, lachten, rauchten und sprachen in ihre Handys. Ich fühlte mich in jeder Hinsicht wie ein Außenseiter, wie ein Beobachter. Ich hatte niemanden, für den ich einkaufen gehen konnte, und ich hatte wenig gemeinsam mit den jungen Leuten und ihrer egozentrischen Ahnungslosigkeit von der Welt.
Aber ich wünschte, ich hätte. Ich wünschte mir all das. Sogar den Teil mit der Ahnungslosigkeit. Manchmal sehnte ich mich danach, die Menschen weniger gut zu durchschauen.
» Bist du gerne Anwalt?«, fragte mich Tori.
Eine berechtigte Frage. Die Antwort darauf sollte eigentlich nicht allzu schwer sein.
» Er zögert«, stellte sie fest.
» Ich mag Wettkampfsituationen«, sagte ich. » Eigentlich klage ich Kriminelle lieber an, als sie zu verteidigen. Aber sie zu verteidigen ist schwieriger. Eine größere Herausforderung. Ich mag Herausforderungen.«
Sie dachte einen Augenblick darüber nach. » Es geht also nicht darum, Menschen zu helfen?«
» Das kann ein möglicher Nebeneffekt sein.«
Wir blieben an einer Kreuzung stehen und warteten auf Grün. Sie musterte mich mit ihren großen braunen Augen. Eine Locke ihres blassblonden Haars lugte unter ihrer Mütze hervor. Sie war älter als die meisten Collegestudenten, vermutlich Ende zwanzig, was auf eine Vorgeschichte hindeutete. Üblicherweise war das keine unbedingt erfreuliche Vorgeschichte.
» Hast du je einen Killer verteidigt?«, fragte sie.
» Ich hatte ein paar Mordfälle, ja.«
» Waren sie schuldig?«
Ich nickte. » Die meisten Menschen, die ich vertrete, sind schuldig, Tori.«
Die Ampel sprang um. Alle anderen überquerten die Straße. Tori bewegte sich nicht. Sie drehte sich um und blickte zu mir hoch. In einem Film wäre das der Moment gewesen, in dem sie mich geküsst hätte. Oder mir gesagt hätte, was ic h f ür ein toller Typ bin. Oder mich zum Teufel geschickt hätte.
» Wer sitzt die ganze Nacht allein in einer Bar und trinkt?«, fragte sie.
» Du«, sagte ich.
» Ich hab das nur einmal gemacht. Aber du mindestens zweimal, außerdem schienst du mit dem Barkeeper auf ziemlich vertrautem Fuß zu stehen.«
» Ich schlafe nicht gut. Der Wodka hilft.«
» Man muss in keine Bar gehen, um Wodka zu trinken.«
» Wenn ich zu Hause trinken würde, käme ich mir jämmerlich vor.«
Sie hob die Augenbrauen.
» Noch jämmerlicher«, berichtigte ich.
Ihre Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Sie studierte mich, durchleuchtete mich bis in psychoanalytische Tiefen. Eigentlich schätze ich so was nicht sonderlich, aber aus irgendeinem Grund störte es mich bei ihr nicht.
Sie stieß einen Seufzer aus. » Du bist ein interessanter Typ«, sagte sie. » Es könnte Spaß machen, mit dir abzuhängen. Aber ich bin nicht auf der Suche nach einer Liebesbeziehung. Das kann ich im Moment nicht gebrauchen.«
» Was für eine glückliche Fügung. Ich kann im Moment auch nichts dergleichen gebrauchen.«
Sie warf mir einen Blick zu. » Willst du mir damit auf deine Macho-Art sagen, dass du meine Bedingungen annimmst? Denn ich könnte durchaus verstehen, wenn du es nicht tust.«
» Ich nehme deine Bedingungen an, Tori. Unter einer Bedingung.«
Erneut hob sie die Augenbrauen. » Lass hören.«
» Du solltest uns die Möglichkeit offenhalten, dass irgendwann – in nicht allzu ferner Zukunft – ein Handjob für mich drin ist.«
Zum ersten Mal stieß Tori ein echtes, lautes Lachen aus.
16
» Tom«, sagte ich. » Tom, wir müssen
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