Der falsche Mann
er sich äußerst umsichtig in den Besitz ihrer Wertsachen bringt.«
» Vielleicht plündern Soldaten ja tatsächlich ihre Gegner aus«, sagte sie. » Wir müssen jemanden finden, der das bestätigt.«
» Steht schon auf meiner Liste. Lightner präpariert bereits die Zeugen. Zumindest die, die nicht mehr im Irak sind.«
» Whoa. Ein Mafiamord«, sagte Shauna.
» Hä?« Ich blickte zu ihr hinüber. Mit der Hand auf der Maus meines Computers surfte sie im Internet. Dann fiel mir etwas ein, und ich richtete mich auf, plötzlich hellwach. » Wer ist das Opfer?«
Sie zuckte mit den Achseln. » Warte, ich ruf den Artikel auf.« Ihre Augen wanderten über den Monitor. » Lorenzo Fowler? Hey, war der nicht …«
» Mist.« Ich sprang von meiner Couch und las über Shaunas Schulter mit. Lorenzo Fowler, zweiundfünfzig Jahre, mutmaßlicher Lieutenant des Capparelli-Syndikats, war tot vor dem Wohnblock 2700 an der West Arondale aufgefunden worden. Der Artikel wurde ergänzt durch ein Foto, das den armen Lorenzo zusammengesackt vor einer Glastür zeigte, auf der LEICHT BESCHÄDIGTE NEUE & GEBRAUCHTE BÜCHER stand.
» Eine Kugel durch die Kehle und je eine durch die Kniescheiben«, stöhnte Shauna. » Autsch.«
Ich rekapitulierte innerlich unser Treffen. Lorenzo saß in der Klemme oder befürchtete es zumindest, weil er einen Stripclub-Besitzer in die Mangel genommen hatte. Wenn die Cops ihn deswegen drankriegten, wollte er einen Deal mit der Staatsanwaltschaft schließen – und bot im Gegenzug den Namen des bevorzugten Auftragskillers der Capparellis.
» Hast du ein Alibi für gestern Abend?«, fragte Shauna.
» Wow. Lorenzo Fowler.«
» Ganz im Ernst, Jason. Hat er dir irgendwas gesagt, das der Polizei hilfreich sein könnte?«
» Klar«, sagte ich. » Ich marschiere einfach rüber, breche die anwaltliche Schweigepflicht und mache eine vollständige Aussage. Und auf dem Rückweg schaue ich gleich beim Kammergericht vorbei und gebe dort meine Anwaltslizenz ab.«
Shauna drehte sich zu mir um. » Ich bin deine Anwaltspartnerin, Kumpel. Mich kannst du einweihen, ohne die Schweigepflicht zu brechen. Hat er dir irgendwas verraten?«
Armer Lorenzo. Seine Angst war wohl mehr als begründet.
» Er wollte mir Gin Rummy liefern«, sagte ich. » Den Namen eines Mafiakillers. Obwohl ihm der Ausdruck nicht gefiel. Er zog ›Auftragsmörder‹ vor.«
Erneut studierte ich den Artikel. Schüsse in die Kehle und in beide Kniescheiben. Der in die Kehle war der einzig notwendige. Die Schüsse in die Kniescheiben waren überflüssig. Es handelte sich also um eine Strafe. Um eine Botschaft, die zusammen mit dem Mord übermittelt wurde.
15
Ich traf Tori vor der Deere Hall, dem Hauptgebäude auf dem Campus des St. Margaret’s College. Sie trug denselben weißen Mantel, eine graue Wollmütze und auf dem Rücken einen Rucksack. Sie erschien unter dem gotischen Torbogen inmitten einer Flut von Studenten, entdeckte mich und sprang die Stufen herunter. Sie lächelte nicht – ich hatte sie noch nie lächeln sehen –, aber ihr Ausdruck war auch nicht unfreundlich. Wachsam traf es wohl am besten.
Das Tageslicht verflüchtigte sich, und es wurde kalt, während wir die Straße hinuntergingen. Die Gehwege waren immer noch von Eisflächen überkrustet, die sich mit schmutzigem Schneematsch abwechselten.
» Was studierst du?«, fragte ich.
Sie blickte mich an. » Mathe.«
» Was macht man mit einem Abschluss in Mathe?«
» Man wird Lehrer. Zumindest will ich das.«
» Für welches Alter?«
» Oh, vielleicht für kleine Kinder«, sagte sie.
» Magst du Kinder?«
Sie antwortete nicht. Es war eine dumme Frage. Warum sollte sie Kinder unterrichten wollen, wenn sie sie nicht mochte?
» Hast du selbst Kinder?«, versuchte ich es.
» Keine Kinder.«
Ich holte tief Luft. Für einen Augenblick befürchtete ich, sie könnte den Ball zurückgeben und mir die gleiche Frage stellen. Aber das tat sie nicht. Sie blickte nur kurz zu mir auf.
» Was arbeitest du?«, fragte sie.
» Ich bin Anwalt.«
» Welche Sorte?«
» Ich vertrete Kriminelle. Sorry, Menschen, denen man Verbrechen zur Last legt.«
» Ist das schwierig?«
» Manchmal. Die Anklage hat wesentlich mehr Ressourcen zur Verfügung. Häufig ist es ein ungleicher Kampf.«
Sie schwieg einen Augenblick. » Das habe ich nicht gemeint.«
» Ich weiß. Du hast gemeint, ob es mein Gewissen belastet?«
Erneut drehte sie sich zu mir. » Offenbar erklärst du den Leuten gerne, was sie
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