Der falsche Mann
Überraschungsmoment für mich nutzen.
Nein, entschied ich. Es war das Risiko nicht wert. Ich würde bei dem Unsinn bleiben, den ich bereits im Antrag geschrieben hatte. » Herr Richter, die Informationen von Sergeant Hilton machen ein völlig neues Beweisaufnahmeverfahren erforderlich. Jetzt, wo wir wissen, welches Ereignis bei meinem Mandanten einen Rückfall auslöste, wollen wir seine ehemaligen Kameradinnen und Kameraden beim Militär über dessen mögliche Auswirkungen befragen. Die Anklage bestreitet, dass eine geistige Störung vorliegt, daher benötigt mein Sachverständiger unbedingt faktische Aussagen über die Reaktion meines Mandanten auf die Ereignisse im Irak.«
Der Richter musterte mich über seine Brille hinweg. Dann warf er einen kurzen Blick in Richtung Anklage, jedoch ohne diese zu befragen. » Das Gericht befindet, dass die Verteidigung eine ausreichende Sorgfaltspflicht walten ließ, indem sie die Informationen von Mr. Hilton sicherte und der Anklage seine Aussage zur Verfügung stellte. Das Gericht wird die Benennung des Zeugen durch die Verteidigung als zeitgerecht anerkennen. Aber einen Verhandlungsaufschub kriegen Sie von mir auf keinen Fall, Mr. Kolarich.« Er nickte bestätigend. » Wir sehen uns in drei Wochen.«
23
» Sie müssen sich auf mich konzentrieren, Tom«, sagte Shauna und deutete dabei auf ihre eigenen Augen.
Ich hatte Shauna erneut mitgebracht, denn sie schien die Einzige zu sein, auf die er reagierte. Doch heute hatte er bisher nur mit einem Stapel Karten gespielt, hatte sie zunächst nach Zahlen und dann nach Farben sortiert. Von außen betrachtete, schien er die geistigen Fähigkeiten eines Kleinkindes zu haben. Aber so war es nicht. Seine Intelligenz hatte nicht gelitten. Dr. Baraniq ging davon aus, dass Tom Zuflucht vor seinen Dämonen suchte, indem er sich möglichst banalen Tätigkeiten widmete. Langeweile war völlig in Ordnung für Tom, hatte der Arzt erklärt. Langeweile war tröstlich.
» Ich weiß, Sie können sich nicht daran erinnern, was geschah, als diese Frau erschossen wurde«, versuchte sie es mit dieser beruhigenden Stimme, die sie auch bei mir gelegentlich schon eingesetzt hatte. » Aber können Sie mir erzählen, woher Sie diese Pistole hatten?«
Er antwortete nicht und spielte weiter mit den Karten. Ich blickte auf meine Uhr, dummerweise hatte ich diese jedoch dem Wachpersonal ausgehändigt, daher konnte ich nur auf ihre bleichen Umrisse an meinem Handgelenk starren. Ich wurde langsam ungeduldig. Ich hatte noch viel zu tun, besonders wenn der Fall sich in die erwartete Richtung entwickelte.
» Lieutentant«, sagte ich, womit ich immer seine Aufmerksamkeit gewann, zumindest kurzzeitig. Ich verwendete meine Erziehungsberechtigten-Stimme. Dann ging ich zu ihm hinüber und baute mich vor ihm auf. » Aufstehen, Lieutenant. Stehen Sie auf!«
Er hielt den Augenkontakt, das war schon mal vielversprechend. Ich hatte keine Ahnung, ob dieser Zugang funktionieren würde, aber ich hatte nichts zu verlieren.
Tom stand auf und drehte sich zu mir. Seine Augen verloren den Kontakt zu meinen, blieben aber immerhin im Spielfeld. Mehr war wohl kaum zu erwarten.
» Woher haben Sie die Waffe?«, fragte ich. » Haben Sie sie gestohlen?«
Er wandte sich ab. Ich packte ihn bei den Schultern und drehte ihn zurück.
» Haben … Sie … die … Waffe … gestohlen?«
» Nein.« Er schüttelte den Kopf und starrte auf meine Brust.
» Woher stammte sie dann?«, fragte ich. » Woher?«
» Ich … hab sie gefunden.«
» Wo? Wo haben Sie sie gefunden?«
» Ich … ich weiß nicht mehr, wo ich geschlafen habe. Ich versuche, mich warm zu halten, aber nicht zu warm. Nicht zu heiß. Es ist kalt draußen, aber dann wird es so heiß, und ich muss meine Jacke ausziehen, weil es so heiß ist …«
» Die Handtasche«, versuchte ich es. » Die Handtasche der Frau? Wo haben Sie die her?«
» Die … Handtasche.«
» Die Handtasche, Tom! Die Handtasche des Opfers und die Pistole? Wo haben Sie die her?«
Ich schüttelte ihn heftig. Ich erwartete, dass er willenlos nachgeben würde, aber stattdessen straffte er sich, hob die Hände und fegte meine Arme in einer raschen Bewegung von seinen Schultern. Ein gekonntes Manöver, Ergebnis langjährigen Trainings. Seine Augen wurden dunkel, und er verbre it erte seinen Stand, um sich fest auf dem Boden zu verankern.
» Ich glaube nicht, dass Sie Kathy Rubinkowski getötet haben«, sagte ich. » Jemand anders hat sie erschossen und
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