Der falsche Mann
meinem Mandanten im Boyd Center verbracht. Jetzt nahm ich mir die Polizeiakte von Kathy Rubinkowski vor und begann zu lesen.
25
Um 17.30 Uhr summte meine Gegensprechanlage.
» Tori Martin«, sagte unsere Empfangsdame Marie.
Mist. Hatte ich ganz vergessen. » Hier oder am Telefon?«
» Hier.«
» Schick sie nach hinten.«
Das Dinner heute Abend war meine Idee gewesen. Als wir neulich abends den Tatort besichtigt hatten, war ich mit anderen Dingen beschäftigt; außerdem war Lightner dabei gewesen, daher hatten wir nur ein paar Drinks genommen und auf das Dinner verzichtet.
Ich war mir nicht sicher, warum ich diese Geschichte überhaupt weiterverfolgte. Schließlich hatte sie von Anfang an klargestellt, dass sie nur an einer rein platonischen Beziehung interessiert war. Nicht dass ich dringend nach einer Heiratskandidatin Ausschau gehalten hätte, trotzdem war ich auf der Suche, auch wenn ich noch nicht genau sagen konnte, wonach.
» Hey. Hübsche Büroräume.« Sie konnte das unmöglich ernst meinen, besonders bei meinem Büro. Mit der abgewetzten Couch, dem Schreibtisch vom Flohmarkt, den halb leeren Bücherregalen und den Stapeln ungeordneter Papiere wirkte es mehr wie eine Junggesellenbude.
Immerhin brachte sie Glanz in diese Bude. Tori übte eine gewisse Anziehung auf mich aus, das war nicht zu leugnen. Sie machte sich attraktiv zurecht. Der lange weiße Mantel war elegant, und ich fand, sie kleidete sich modebewusst, wobei ich zugegebenermaßen absolut keine Ahnung von Frauenmode hatte. Aber Tori Martin hätte selbst in einem Kleidersack noch scharf ausgesehen.
» Sorry, es ist was dazwischengekommen«, sagte ich. » Ich hätte anrufen sollen.«
» Schon gut. Soll ich … wir können was Neues ausmachen.«
» Setz dich einfach eine Minute«, sagte ich. Ich umrundete den Schreibtisch und hob den Football auf, der mitten im Büro auf dem Fußboden lag. Sie nahm ihre Handtasche von der Schulter und setzte sich auf die Couch.
» Ein Fall ist gerade in die heiße Phase getreten«, erklärte ich.
» Der mit Lorenzo? Wo wir am Tatort waren?«
» Nicht ganz. Hängt aber damit zusammen.«
Sie neigte den Kopf zur Seite. » Echt?« Sie schien interessiert. Die meisten Menschen wären das gewesen, zumindest auf einer oberflächlichen Ebene. Cops und Kriminelle. Spannender Stoff. Aber sie hakte nicht weiter nach. Das gefiel mir an ihr. Sie wirkte auf natürliche Art distanziert, fast schon unnahbar, und das war mir lieber als der sensationslüsterne Typ.
Anders gesagt, sie erinnerte mich an mich.
» In drei Wochen beginnt ein Prozess«, sagte ich, » und wir haben gerade unsere Strategie über den Haufen geworfen.«
» Was für ein Fall?«
» Ein Mordprozess.«
» Cool.« Ihr Gesicht hellte sich auf. » Das ist aufregend, oder?«
» Zum Teil ja.«
» Darfst du mir davon erzählen, oder bist du an eine Art Schweigepflicht gebunden.«
» Nein, ich darf«, seufzte ich. » Willst du eine Flasche Wasser? Oder lieber was Alkoholisches?«
» Wasser ist gut.«
In der Ecke neben meinem Schreibtisch stand ein kleiner Kühlschrank. » Mein Mandant wird beschuldigt, letzten Januar in Franzen Park eine Frau ermordet zu haben«, sagte ich. Im Kühlschrank lagen drei Flaschen Sam Adams, eine kleine Flasche Stoli und eine Flasche Mineralwasser. Ich überlegte, ob ich eine kleine Pause einlegen und mir ein kühles Bier genehmigen sollte, wobei es bei dem einen möglicherweise nicht bleiben würde. Also überließ ich Tori die Entscheidung. Wollte sie einen Drink, bedeutete das, sie würde auch mit mir zum Dinner gehen, und vielleicht würden mir ein paar Stunden Pause guttun, um den Kopf wieder klar zu kriegen. » Sicher, dass du nur agua willst?«
Sie antwortete nicht, daher drehte ich mich zu ihr um. Sie sah aus, als hätte sie ein Insekt verschluckt. Manchmal vergesse ich einfach, wie es läuft. Menschen finden es interessant, etwas über Verbrechen und Strafprozesse zu hören oder zu lesen oder was darüber im Fernsehen zu sehen, aber wenn sie persönlich damit in Berührung kommen, können sie sich häufig nicht mit der Idee anfreunden, dass man einen Mörder verteidigt. Es gibt eine Menge Menschen – Anwälte ebenso wie Laien –, die nicht die Nerven dafür haben. Ich hätte sie womöglich auch nicht gehabt, hätte ich nicht als Staatsanwalt begonnen und mich dabei in gewisser Weise an Gewalt und Tod gewöhnt. Eine Menge Ankläger werden zu echten Überzeugungstätern und entwickeln eine tief verwurzelte
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