Der falsche Mann
Freund.
Manning war in den letzten achtzehn Monaten einen weiten Weg gegangen.
Dann klingelte sein Handy, und er nahm den Anruf entgegen.
» Mr. Manning«, sagte sein Security-Chef. » Wir hatten heute Besuch.«
48
Tori und ich fuhren zurück zu meiner Kanzlei und verbrachten den restlichen Abend mit Arbeit. Sie recherchierte online, während ich die Zeugenaussagen durchging und mein Abschlussplädoyer entwarf. Ein Prozessanwalt beginnt nach dem Sichten der Beweise seine Verhandlungsvorbereitungen immer mit dem Abschlussplädoyer. Es ist das, was er der Jury am Ende mit auf den Weg gibt, das finale Statement, und er will alles Wichtige hineinpacken. Von dort aus arbeitet er dann rückwärts und stellt sicher, dass er die nötigen Beweise für seine Schlussfolgerungen liefert, die Bausteine für das fertige Haus, das er am Ende den Geschworenen zeigt.
Meine Abschlussargumentation hatte sich dramatisch verändert. Dies war keine Schuldunfähigkeitsbeweisführung mehr. Es war eine Unschuldsbeweisführung. Und es würde sich dabei zumeist um Vorgänge und Menschen drehen, die nicht das Geringste mit First Lieutenant Thomas Stoller zu tun hatten. Dummerweise waren die meisten dieser Beweise mir selbst noch unbekannt. Also stand ich am Ende meiner Versuche, ein Plädoyer zu schreiben, mit mehr Fragen als Antworten da.
Und so war ich am Ende des Tages wieder einmal enttäuscht und schlecht gelaunt.
» Ich brauche mehr Zeit«, sagte ich zu Tori, während ich sie nach Hause fuhr. » Da ist irgendwo was verborgen, aber ich hab nicht die Zeit, es rauszufinden. Ich lasse Tom einfach hängen.«
» Nein, das tust du nicht. Du kämpfst mit aller Kraft für ihn, Jason.«
» Das ist nicht genug. Nicht mal annähernd.«
Sie antwortete nicht sofort, aber ich spürte, dass sie mich musterte.
» Was?«, sagte ich, ohne meine Irritation zu verbergen.
» Ein Anwalt hat mir mal gesagt, dass man immer sein Bestes für seinen Mandanten gibt, aber nachts schläft man ruhig, weil man eben nicht mehr als sein Bestes geben kann. Und am Ende ist es der Klient und nicht man selbst, der im Gefängnis landet.«
» Keine Ahnung, was für ein Blödmann das gesagt hat.« Erneut hatte sie meine eigenen Worte zitiert. » Ich weiß nicht mehr weiter, Tori. Ich habe einen Klienten, der ins Gefängnis gehen will und bestraft werden möchte, allerdings nicht für den Mord an Kathy Rubinkowski, sondern weil er in diesem Tunnel in Mosul ein Mädchen erschossen hat. Er kann mir nicht helfen. Er erinnert sich nicht an die Tatnacht. Daher muss ich die Geschworenen von etwas überzeugen, das nicht mal mein eigener Mandant aussagen wird, nämlich dass jemand anderer diesen Mord begangen und ihm in die Schuhe geschoben hat. Ist das nicht toll? Mein Mandant wurde Opfer eines falschen Spiels, weigert sich aber, das vor Gericht zu bestätigen. Und ich selbst habe so gut wie keinen Beweis dafür. Ich habe Fragen, ich habe Theorien, aber solange ich die nicht in einen halbwegs schlüssigen Zusammenhang bringen kann, wird Richter Nash dafür sorgen, dass die Jury nie davon erfährt …«
» Jason, jetzt mach mal halblang. Du lässt dich von negativen Gefühlen mitreißen.« Tori berührte meinen Arm. » Es bleibt noch Zeit. Es gibt immer noch Hoffnung.«
Ich holte tief Luft und versuchte, mich zu entspannen. Sie hatte recht. Die Situation wuchs mir über den Kopf. Das war eigentlich nicht meine Art. Normalerweise entfaltete ich in solchen Momenten erst meine wahren Fähigkeiten.
In den verlassenen Straßen kamen wir rasch vorwärts. Ich hielt vor ihrem Apartmenthaus. Dann ließ ich den Kopf auf das Lenkrad sinken und schloss die Augen. Es musste da irgendetwas geben, das ich übersah.
Tori nahm meine Hand und hielt sie. Ihre Hand war klein und warm, und es fühlte sich gut an. Wir saßen vielleicht zehn oder fünfzehn Minuten so nebeneinander. Ich war tief erschöpft und aufgewühlt zugleich. Ich brauchte dringend Schlaf, aber dieser Fall ließ mir keinen Frieden. Vor mir lagen unruhige Nächte, in denen ich plötzlich mitten in der Nacht die Augen aufschlagen und mich ruhelos herumwälzen würde.
» Ich war mal verheiratet«, sagte Tori.
Ich erwachte aus meinem Brüten und blickte sie an. Ich war mir nicht sicher, warum sie mir das ausgerechnet jetzt erzählte. Vermutlich war es eine Art intimer Moment.
» Wann ging es zu Ende?«, fragte ich.
» Vor fünf Jahren«, sagte sie. » Auf den Tag genau vor fünf Jahren. Am fünfundzwanzigsten November
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