Der falsche Mann
hat mir gesagt, man kann nach dem Kerl seine Uhr stellen, er läuft jeden Morgen bei Sonnenaufgang am See. Glaubst du, er hat eine andere Route gewählt?«
» Keine Ahnung. Vielleicht sollten wir doch noch etwas warten.«
Cahill blickte sich um. Abgesehen von den Joggern, Bikern, Skatern und Walkern war der Tunnel immer noch dunkel und hoffentlich auch leer, also nach wie vor ein möglicher Ort, um zuzuschlagen. Im Ernstfall würde er eben improvisieren müssen. Sobald ihn Dwyer über Kolarichs Ankunft informierte, würde er blitzschnell die Situation einschätzen und eine Entscheidung treffen.
Um neun sagte Dwyer in Cahills Ohrhörer: » Da kommt eine Politesse und verteilt Strafzettel. Ich muss den Platz wechseln. Hier darf man nur dreißig Minuten parken.«
» Na großartig.«
» Ich dreh eine Runde und komm zurück.«
Ja, dachte Cahill, und hoffen wir, dass Kolarich nicht genau in dem Moment die Ash runter und durch den Tunnel rast.
Um 9.30 rollte ein Streifenwagen gemächlich am Seeufer entlang und in etwa fünfzehn Metern Entfernung an Cahill vorbei. Cahill streckte und dehnte sich demonstrativ, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.
» Genug«, sagte er. » Hol mich hier ab, Dwyer. Es ist Zeit, dass wir uns einen Plan B ausdenken.«
58
» Hi«, sagte Tori, als sie das Telefon abnahm. Vermutlich hatte sie auf ihrem Display meine Nummer erkannt.
» Ich wollte nur mal kontrollieren, ob du noch am Leben bist«, sagte ich. » Bist du noch am Leben?«
» Bin ich. Und du?«
» Ich glaub schon.«
» Wie geht’s deinem Knie?«
» Dem ging’s schon mal besser.« Ich hatte mein linkes Bein auf einen Bürostuhl gelegt. Die gerade Haltung verhinderte, dass es steif wurde. Heute Morgen beim Aufstehen hatte ich es nicht belasten können. Einbeinig musste ich zur Dusche hüpfen. Keine Ahnung, wie ich es mir verletzt hatte – ich war zu sehr mit vorbeifliegenden Kugeln und Deckungssuche beschäftigt gewesen –, aber hoffentlich war es nur eine Prellung und kein Sehnenriss oder Ähnliches.
Ich hasste Unbeweglichkeit. Als Erstsemester an der State hatte ich mir mal einen Oberschenkelmuskel gezerrt, konnte ein paar Tage kaum laufen und wurde fast verrückt deswegen. Heute hatte ich zum ersten Mal seit Wochen meinen morgendlichen Lauf versäumt, aber was noch schlimmer war, ich konnte nicht einmal auf und ab marschieren, was mir sonst enorm beim Denken half.
Tori sagte: » Und du bist sicher, dass die beiden Kerle gestern Abend dieselben waren, die mir Drinks spendiert und mich im Vics angegrabscht haben?«
» Ich bin mir absolut sicher, Tori.«
» Das ist so verrückt.«
» Nicht wirklich. Genau das verrät mir, dass die Capparellis mich beobachten lassen. Ich habe meinen Terminkalender überprüft. Zu dieser netten Begegnung im Vic’s kam es, kurz nachdem Lorenzo Fowler wegen eines Treffens angerufen hatte. Es war zwar noch vor diesem Treffen, aber bereits nachdem er einen Termin mit meiner Sekretärin vereinbart hatte. Also wussten seine Leute, dass er Kontakt mit mir aufnehmen wollte, und beschatteten mich. Demnach folgten sie mir bereits die ganze Zeit.«
» Das klingt einleuchtend«, sagte sie.
Das tat es, trotzdem war irgendwas daran nicht ganz stimmig. Ich wusste nur noch nicht, was.
» Sei vorsichtig«, sagte ich. » Wir sind alle hier in der Kanzlei, wenn du zu uns stoßen willst.«
Ich legte auf und wandte meine Aufmerksamkeit wieder den vorgerichtlichen Anträgen der Staatsanwaltschaft zu. So sehr ich diesen Papierkrieg hasste und das lebendige Geben und Nehmen bei Zeugenaussagen vorzog, so konnten diese Anträge doch eine vernichtende Wirkung auf den Prozess haben. Man bereitete sich Monate oder gar Jahre auf einen Prozess vor, und in den allerletzten Tagen davor versuchte die Gegenseite, das eigene Hauptbeweismittel oder Hauptargument abzuschießen; in solchen Fällen hielt man einfach den Atem an und betete für einen günstigen Ausgang. Denn ein ungünstiges Ergebnis konnte die eigene Verteidigungsstrategie am Vorabend der Verhandlung komplett zunichtemachen.
Wendy Kotowski hatte eine Bombe platzen lassen, als sie den Richter ersuchte, Tom Stollers heroischen militärischen Hintergrund von der Beweisaufnahme auszuschließen – und damit auch die Aussage seines Freundes Sergeant Bobby Hilton. Da eine auf PTBS basierende Verteidigung jetzt nicht mehr möglich war, so argumentierte sie, hätte Toms militärische Vorgeschichte keine Relevanz mehr für den Mord an Kathy Rubinkowski.
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