Der falsche Mann
hatte recht. Aber die Sympathien der Jury für einen Kriegshelden zu wecken, der bei seiner Heimkehr alles verloren hatte, war einer der letzten Pfeile in meinem Köcher gewesen. Also mussten wir alles daransetzen und den Richter davon überzeugen, diese Aussage trotzdem zuzulassen; doch Bradley Johns erster Entwurf der am Montag fällige n Antragserwiderung war in meinen Augen nicht befriedigend.
Sofern Richter Nash ein normales menschliches Wesen war, sollte er eigentlich das Gefühl haben, mir etwas schuldig zu sein. Zumindest gingen die meisten Richter so vor – wenn sie dem Antrag einer Partei entsprachen, versuchten sie, das Gleichgewicht wieder herzustellen, indem sie bei anderer Gelegenheit einen für die Gegenpartei vorteilhaften Beschluss fällten. Schließlich wollten sie den Prozess in dem Gefühl beenden, beide Seiten in gleichem Maße über den Tisch gezogen zu haben.
Alles in allem hatte Wendy nicht weniger als sechzehn vorgerichtliche Anträge eingereicht. Das war eine Routinetaktik, um in den letzten Tagen vor dem Prozess die andere Seite mit Papierkram und juristischen Recherchen auf Trab zu halten. Eine Taktik, die ich nicht sonderlich schätzte. Vielmehr lehnte ich sie entschieden ab. Das kontradiktorische System der Strafjustiz sollte nicht auf ein fintenreiches Kräftemessen hinauslaufen, sondern einer ernsthaften Suche nach der Wahrheit dienen.
Weswegen ich von unserer Seite aus nur fünfzehn Anträge stellte.
Wie auch immer, es würde ein langes Wochenende werden.
Auf meinem Schreibtisch klingelte der Anschluss, dessen Nummer fast niemand kannte.
» Ja, hallo?«
» Ja, hallo«, gab Joel Lightner zurück. Er war wieder in seinem Büro, wo er versuchte, etwas über Randall Manning und Konsorten auszugraben. Ein weiterer Ermittler half ihm dabei. Joel hatte mich gewarnt, dass er frühestens Montag, wenn alle von ihrem verlängerten Wochenende zurückkehrten, neue Informationen für mich hätte, daher hatte ich keine allzu großen Erwartungen.
» Gehst du nicht mehr an dein Handy?«, beschwerte er sich.
» Oh, tut mir leid.« Ich saß an meinem Schreibtisch, hatte aber offenbar das Summen überhört.
» Ich hab was rausgefunden.«
» Über diese eine Sache?«
» Nein, über die andere Sache.«
Seit irgendjemand mich gestern Abend auszuknipsen versucht hatte, war ich ziemlich paranoid geworden und ging einfach vom Schlimmsten aus – unter anderem, dass meine Telefone abgehört wurden. Daher der Code.
» Die neue Sache?«, sagte ich.
» Richtig«, sagte er.
Die neue Sache. Mein Herz machte einen Sprung.
» Wollen wir uns zum Mittagessen treffen?«, fragte ich.
» Genau daran hatte ich gedacht.«
59
Patrick Cahill und sein Partner Dwyer hatten die letzte Stunde im Wesentlichen damit verbracht, Jason Kolarichs Stadthaus zu umrunden. Der Anwalt lebte in der Nähe des Sees in einer relativ ruhigen Wohngegend, und bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt war ohnehin nicht viel los auf den Gehwegen, sodass es zu auffällig gewesen wäre, einfach nur dazustehen und das Haus zu beobachten.
Eine bessere Idee hatte es nicht gegeben. Kolarich war heute Morgen nicht gerannt, und Cahill hatte keine Ahnung, warum. Vielleicht war es eine einmalige Ausnahme, und er nahm schon morgen seine Routine wieder auf. Vielleicht konnte Cahill den einen Tag abwarten.
Trotzdem brauchte er einen Plan B. Und er hatte keinen in petto. Schließlich hatte er sich nicht wochenlang auf diese Aktion vorbereiten können. Alles war so verdammt schnell gegangen: Dieser Typ hatte rumgeschnüffelt, er musste beseitigt werden; sie wussten von seinen Läufen am See – also, Patrick, mach den Kerl unschädlich. Okay, gut, dann musste Patrick jetzt eben improvisieren.
Er kannte die Adresse von Kolarichs Büro, aber das befand sich in einem Hochhaus in der Innenstadt, und jemanden in so einem Gebäude zu erledigen, war sicher nicht die einfachste oder sauberste Art. Da gab es Kameras, verschlossene Türen, Wachleute und eine Menge Menschen auf engstem Raum. So etwas würde viel Planung und Vorbereitung erfordern, und für beides hatte Cahill keine Zeit.
Aber irgendwann am Abend würde Kolarich nach Hause kommen müssen. Jetzt war es erst Mittag, also waren es bis dahin vermutlich noch etliche Stunden, besonders bei einem mitten in seinen Prozessvorbereitungen steckenden Anwalt. Möglicherweise schaffte er es sogar erst gegen zwei Uhr morgens nach Hause. Doch kommen würde er in jedem Fall. Und sie mussten darauf
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