Der falsche Mörder
auch nur eines Blickes zu würdigen.
Er ist überrascht. Seine fetten Backen erbleichen.
»Du willst doch wohl nicht andeuten, dass du tatsächlich einen Anruf von einem Mann bekommen hast, der schon seit Jahrzehnten tot ist?«, fragt er nach langer Stille. Seine Stimme klingt heiser vor unterdrückter Aufregung und Wut.
»Zum jetzigen Zeitpunkt gebe ich zu dem Fall keinen Kommentar ab.«
»Kein Kommentar?«
Raggi hält sich mit festem Griff am Gestänge des Stuhles fest. Beugt sich vor. So weit, wie es sein Bauchspeck erlaubt. Und errötet.
»Kein Kommentar?«, wiederholt er mit lauter Stimme.
»Willst du etwa diese blödsinnige Farce am Leben erhalten?«
»Momentan habe ich zu dem Fall nichts zu sagen«, wiederhole ich widerborstig. »Das ist eben so.«
Raggi starrt mich an. Mit seinen Gehirnzellen auf vollen Touren.
»Es gibt nur zwei Möglichkeiten«, sagt er schließlich.
»Entweder hast du diese Geschichte erfunden, was mir bisher jedenfalls unwahrscheinlich vorkommt, oder du hast Kontakt zu jemandem, der mit falschen Karten spielt. Welche Möglichkeit ist zutreffend?«
Ich lächele. Aber antworte nicht.
»Wenn jemand dich auf diese Weise hinters Licht führt, hast du ihm gegenüber als Anwältin keine Verpflichtungen. Das wirst du doch wohl verstehen?«
»Ich möchte viel lieber über das Wetter reden.«
»Wir könnten den nächsten Anruf zurückverfolgen lassen und damit den Betrüger im Handumdrehen entlarven. Bist du dazu bereit?«
»Die Kälte macht mich total fertig.«
»Um Himmels willen, Stella, sei doch wenigstens einmal im Leben vernünftig und kooperativ!«
»Aber es sieht momentan nicht danach aus, als würde es in Bälde tauen.«
Raggi erhebt sich langsam. Bleibt eine Weile vor mir stehen. Mit herausgestrecktem Schmerbauch.
»Du spielst mit dem Feuer«, sagt er schwer. »Pass gut auf, dass die Flammen nicht außer Kontrolle geraten.«
Dagfinnur öffnet für Raggi die Tür. Sie verschwinden, ohne sich zu verabschieden.
Uff!
25. KAPITEL
D er Gast trete ein, es soll ihm an nichts fehlen!«, sagt Matti strahlend, während er die Tür seines Ferienhauses mit theatralischer Gestik sperrangelweit aufreißt.
Der Kerl macht heute Abend auf Pinguin. Hat einen schwarzen Frack mit einem weißen Hemd angezogen. Als ob das hier ein offizielles Snob-Bankett wäre und nicht ein gemütliches Tête-à-Tête.
Er nimmt seinen Zylinder ab. Bittet mich ins Haus, indem er sich fast bis hinunter auf den Boden verbeugt.
Verdammter Schmierenkomödiant!
»War das deine eigene kreative Ader oder schon wieder ein Zitat?«, frage ich.
»Ich lieh die Worte des Meisters«, antwortet Matti.
»Ach du liebe Zeit!«
Ich bin immer noch schlecht gelaunt. Kann das nicht verbergen.
Und lasse Vorsicht walten.
Der Taxifahrer konnte das Ferienhaus schnell in der Abenddämmerung finden. Es war jedenfalls das einzige Sommerhaus direkt beim Hafravatn, einem See direkt oberhalb der Hauptstadt, wo man in den Fenstern Licht sah. Das Holzhaus ist außen aufwendig renoviert und innen luxuriös ausgestattet.
An einer Querseite befindet sich ein Wintergarten, in dem es ziemlich dschungelähnlich aussieht. Das Wohnzimmer liegt in der Mitte des Hauses. Von dort aus kommt man in die Küche, aber die Schlafzimmer sind wahrscheinlich an der anderen Querseite.
Ich marschiere ins Wohnzimmer.
Matti hat den Tisch für zwei gedeckt.
Geschmackvolle Tischdecke. Flackerndes Kerzenlicht. Und große Gläser, die bis zum Rand voll mit dunkelrotem Rotwein gefüllt sind.
»Das ist mein Feuerwasser«, sage ich, nehme die Jackie-Flasche aus dem Beutel und stelle sie mitten auf den Tisch.
»Jack Daniels«, sagt Matti und verzieht das Gesicht. »Direkt aus dem Wilden Westen von Amerika importiert. Das wird ein Spaß!«
»Die Party ist erst beendet, wenn die Flasche leer ist.«
»Es wird dir nie gelingen, mich unter den Tisch zu trinken«, sagt Matti und lacht überheblich. »Ich gehe niemals unter.«
»Wie der Riese?«
»Was für ein Riese? Der, der Weihnachten gestohlen hat?«
»Nein, der, der gesunken ist.«
»Ach so! Die Titanic.«
Er nimmt die Fernbedienung in die Hand und drückt auf eine Taste.
Lebhafte Musik kommt aus zwei starken Lautsprechern, die jeweils in einem anderen Ende des Wohnzimmers stehen. Das Stück kommt mir bekannt vor.
»Ich fand Bizet zum Anfang sehr gelungen«, erklärt Matti und legt die Fernbedienung wieder ab, »weil du manchmal so carmenesk bist. Das macht das Ungestüme in dir, verstehst du.
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