Der falsche Mörder
Geirfinnur nie ermordet wurde und der ganze Fall von Anfang an auf einem Missverständnis beruht. Du als Anwältin wirst doch verstehen, wie wichtig es für das weitere Vertrauen der Einwohner auf das isländische Rechtssystem ist, dass diese Lügengeschichte ein für alle Mal aus der Welt geschafft wird.«
»Und?«
»Uns ist klar, dass du in Kontakt mit dem Mann gestanden hast, von dem die Verbreitung dieses Gerüchts ausging.«
»Ach ja?«
»Wir wissen, dass du im bisherigen Verlauf des Falles eine Schlüsselrolle innehast und daher eine große Verantwortung trägst, diese Angelegenheit zu einem guten Ende zu führen. Unsere Einwohner haben es verdient, dass dieser Fall so schnell wie möglich aus der Welt geschafft wird.«
»Ich trage meinen Klienten gegenüber Verantwortung. Niemandem sonst.«
Der Vize hätte ganz eindeutig Lust, seine Wut an mir auszulassen. Aber es gelingt ihm, sich zu kontrollieren.
»Mit anderen Worten wünschen wir eine Zusammenarbeit mit dir, um dieses Gespenst so schnell wie möglich zu vertreiben.«
»Ich bin kein Gespensterjäger.«
Der Vize kann sich noch zusammenreißen.
»Wir möchten diesen Mann treffen, um herauszufinden, wer er ist, und damit den Fall abschließen«, fährt er fort.
»Das liegt nicht in meiner Macht.«
»Doch, natürlich«, mischt Raggi sich ein.
»Wie meinst du das?«
»Wir ersuchen dich, dabei sein zu dürfen, wenn du diesen Mann Ende der Woche triffst«, sagt er.
Ich bin unangenehm überrascht.
Woher wissen die von meinen Plänen?
Ich habe niemandem davon erzählt, dass ich nach Amerika fliege. Nur dem geheimnisvollen Gesprächspartner. Gestern Abend am Telefon.
Habe mein Ticket erst heute Morgen gebucht.
Niemand sollte davon erfahren. Schon gar nicht die Goldjungs.
Ob sie wohl mein Telefon abhören?
Der Vize bemerkt Raggis Fehler. Versucht sofort, ihn auszubügeln.
»Wir haben heute Mittag von Icelandair die Informationen bekommen, dass du für morgen einen Flug in die USA gebucht hast und den Rückflug für Freitag«, sagt er schnell. »Wir haben zwei und zwei zusammengezählt und vier erhalten.«
Verdammte Lumpen!
»Wie könnt ihr es wagen, mich auszuspionieren?«
»Wir müssen natürlich unsere Pflicht tun, wenn die Rechtssicherheit des Landes auf dem Spiel steht«, antwortet der Vize. »Das ist nicht persönlich gemeint, meine Liebe.«
Meine Liebe?
Mir reicht’s.
»War sonst noch etwas?«, frage ich kühl.
Sie gucken mich beide schweigend an. Einen Moment.
»Lehnst du unsere Bitte um Zusammenarbeit ab?«, fragt der Vize.
»Aber natürlich.«
Seine Wangen verfärben sich rötlich. Vor Wut.
»Mit deinem Benehmen zeigst du eine ungeheure Verantwortungslosigkeit.«
»Und du zeigst mit deinem Benehmen eine ungeheure Unverschämtheit.«
Da vergisst er sich plötzlich.
»Es ist eine Schande und nichts anderes, wenn es einer so unbedeutenden und unmoralischen Falschspielerin wie dir gelingen sollte, der Gesellschaft einen irreparablen Schaden zuzufügen, und das auch noch zu deiner Freude!«, ruft er.
»Das ist ja ein Ding.«
»Und ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um die Anwaltskammer von dir Unruhestifterin zu säubern. Da kannst du dich drauf verlassen.«
Ich bin fest entschlossen, mich von ihm nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.
Zwinge mir ein Lächeln ins Gesicht:
»Ich liebe dich auch.«
33. KAPITEL
Mittwoch
J etzt bin ich bereit.
Bald wird sich herausstellen, ob mein Verdacht begründet ist.
Letztes Mal war es Sommer, als ich in Florida war, und wesentlich heißer als jetzt.
Trotzdem ist es ein ganz schöner Unterschied, aus der isländischen Kälte an den Badestrand mit Sonne, Sand und vielen lecker gebräunten Hengsten zu kommen.
Aber ich habe an etwas anderes zu denken als an Sonne, Sand und zwanzig Grad plus. Schon gar nicht an gut gebaute Kerle.
Es wird bald drei Uhr. Nachmittags.
Geirfinnur wird jeden Moment anrufen. Oder wie er wohl in Wirklichkeit heißt. Er wird sich auf meinem tollen scheißteuren Handy melden. Eines von denen, die es sowohl zu Hause auf der Eisscholle als auch in Amerika tun.
Den ganzen Vormittag habe ich damit verbracht, notwendige Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Manches konnte ich telefonisch regeln. Um andere Dinge musste ich mich persönlich kümmern. An Ort und Stelle vorbereiten. Vielleicht war das alles unnötig. Aber ich traue dem Braten einfach nicht.
Habe immer noch nicht dieses unangenehme Gefühl abschütteln können, das ich am Sonntag bei dem
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