Der falsche Mörder
den Himmel. Und gebe ihm reichlich Trinkgeld.
Betrete dann das karibische Paradies.
Von innen und außen sieht das Mai-Kai wie ein Abenteuerdorf aus, das komplett von Tahiti oder Bora-Bora hierher importiert wurde. Eine vollkommene karibische Illusion mitten in einer amerikanischen Betonstadt.
Ich lasse mich an einer Bar nieder. Unter grob geschnitzten Göttermasken, fernöstlichen Drachenbildern und Papplaternen mit bunten Lichtern.
Halb nackte braune Kerle bearbeiten mit geschickten Fingern Flaschen und Schüttelbecher. Mixen einen karibischen Seeräubertrank nach dem anderen. Spektakuläre Cocktails mit Rum, Früchten und Gewürzen.
Kleine, rundliche Mädchen in knallbunter Minimalkleidung gehen zwischen den Tischen umher und servieren.
Ich bin zu gespannt, um die Umgebung gebührend zu genießen. Gucke mir die unterschiedlichen Gäste genau an.
Welcher dieser Kerle ist es?
Als der Barkeeper kommt, lasse ich die Hände von den fremdländischen Gemischen. Bestelle mir einen doppelten Jackie. Pur.
Aaah!
Er schmeckt doch immer gleich gut. Diese wunderbare Mischung von Frost und Flammen. Eiskalt und kochend heiß.
Ich bin schon beim zweiten Glas, als sich jemand von hinten über mich beugt.
»Weißt du, wie viel Sternlein stehen«, flüstert er mir ins Ohr.
35. KAPITEL
E r sieht eher uninteressant aus.
Ich hätte ihn auf der Straße kaum registriert. Jedenfalls nicht zwei Mal angeguckt.
Er hat langes Haar. Zu einem Pferdeschwanz gebunden. Hauptsächlich grau.
Sein Gesicht ist sonnengebräunt von der Arbeit im Freien.
Schweißperlen haben sich auf der Stirn und um den Mund herum gebildet.
Und er trägt einen mittelgroßen Bierbauch vor sich her.
Er hat dünne, leichte, karierte Kleidung an. Wie jeder Durchschnittsamerikaner in den Sommerferien.
Sein Akzent ist auch viel auffälliger als bei unseren Telefonaten. Er benutzt auch wesentlich mehr englische Wörter beim Sprechen.
Vielleicht, weil er so angespannt ist. Obwohl er versucht, seine Nervosität hinter disziplinierter Gelassenheit zu verstecken.
Er berichtet, dass er vor mir da gewesen sei. Hat beobachtet, wie ich die Bar betreten habe. Hat gesehen, dass die Kleidung zu der Beschreibung gepasst hat, die ich ihm gegeben habe. War ganz sicher, als ich in einer Bar, die für Rum berühmt sei, Jackie bestellt hätte.
»Eine Floridita«, sagt er zum Barkeeper, der sich daranmacht, den Cocktail direkt vor unseren Augen zu mixen.
Ich betrachte den Typen immer noch. Versuche sein Aussehen mit den fast vierzig Jahre alten Fotos von Geirfinnur Einarsson zu vergleichen, die ich mir angeguckt hatte, bevor ich abgeflogen bin. Ich hatte versucht, mir vorzustellen, wie sich ein Gesicht mit der Zeit verändern könnte.
Könnte er es wirklich sein?
Vielleicht.
Aber vielleicht auch nicht.
Verdammt noch mal! Ich bin keinen Schritt weiter.
»Das ist ein weltberühmter Daiquiri«, sagt er und trinkt den ersten Schluck. »Sie behaupten hier, dass Hemingway sich immer Floridita bestellt hat.«
»War das nicht der, der sich mit einer Schrotflinte erschossen hat?«
Er ist sprachlos. Aber nur für einen Moment.
» Same guy « , antwortet er trocken.
Ich fange erst an, ihn tiefer gehend auszufragen, als wir an einem ruhigen Tisch im großen Restaurant platziert worden sind und die von uns bestellten Gerichte serviert werden.
»Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, hierher zu kommen und dich zu treffen«, sage ich und beginne, an meiner Vorspeise zu naschen. Hummer und Shrimps in kräftiger Sauce. »Trotzdem hoffe ich im Innersten, dass du bluffst.«
»Du bist also nicht sure ? « , fragt er. » Right? «
Ich nicke.
Er fängt an, mir den gleichen Sermon wie am Telefon aufzusagen. Nur viel ausführlicher.
Erzählt mir, wie es war, in Vopnafjördur aufzuwachsen, bis er als Achtjähriger seine Mutter verloren hat.
Warum sein Weg in den Süden nach Keflavík führte, wo er ein Mädchen im Tiefkühlhaus traf, heiratete und Kinder bekam.
Berichtet, wie gut er große Arbeitsmaschinen steuern kann und es ihm oft Spaß gemacht hat, vor allem dann, wenn er Arbeit bei großen Kraftwerkbauten im Hochland bekam. Bei Búrfell und Sigalda.
Erzählt er aus eigener Erfahrung? Oder zitiert er einen Text, den er aus irgendwelchen unverständlichen Gründen auswendig gelernt hat?
Ich bin noch lange nicht sicher.
Er zögert manchmal. Manchmal sucht er die passenden Worte. Vermischt Englisch und Isländisch noch mehr als gewöhnlich.
Schweigt dann eine gute
Weitere Kostenlose Bücher