Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)
Chinesin. Ein Junge, der kaum älter ist als Pat. Und ein Greis, ein knochiger Kerl, der in der Gruppe offenbar das Sagen hat.
»Haltet ihr euch an den Waffenstillstand?«, erkundigt sich der Alte. Die leichte Verzögerung, mit der ich seine Stimme wahrnehme, deutet darauf, dass er mit einem Übersetzungsprogramm spricht.
»Ja!«, antwortet Maniac. »Seid ihr schon lange unterwegs?«
»Unsere reine Spielzeit liegt jetzt bei zwanzig Stunden«, gibt einer der Männer bereitwillig Auskunft.
Sie sehen nicht wie Newbies aus. Also werden sie es wohl darauf angelegt haben, jede Menge Ausrüstung zu sammeln. Tatsächlich tragen sie fast alle kugelsichere Westen, und ihre Waffen sind wesentlich besser als unsere. Jeder hat eine MP und eine Pistole, obendrein besitzen sie zwei Laserstrahler, die dem von Nike entsprechen, drei Raketenwerfer und eine bizarre Waffe, die uns bisher noch nicht begegnet ist.
»Wir sind bei zehn Stunden!«, trumpft der Magier auf.
Die Mitteilung trägt uns ein herablassendes Lächeln von den sieben ein.
»Sieht man«, bemerkt der Alte. »Setzt euch!«
Sie machen uns Platz am Feuer. Nachdem wir uns niedergelassen haben, tritt eine peinliche Pause ein – bis dann Zuko das Ruder an sich reißt.
»Sagt mal, habt ihr ein Crack für Visual Board ?«, wendet er sich an die anderen.
Die sehen einander an.
»Bisher hat noch niemand das Programm geknackt«, antwortet einer. »Und vermutlich wird sich das auch nicht so schnell ändern.«
Der Magier bleckt zufrieden die Zähne. Vermutlich liegt ihm schon auf der Zunge zu sagen, dass er selbst dieses Programm geschrieben hat. Es ist nicht nur für seine einfache Handhabung bekannt, sondern auch dafür, dass es bisher noch niemandem gelungen ist, den Kopierschutz zu entfernen. In letzter Sekunde kann er sich jedoch zügeln. Nun wechselt das Gespräch rasch auf allgemeinere Themen über. Wie, wo und was für Hacks es gegeben, wen man bei was erwischt hat, wer entkommen konnte und wer noch hinter Gittern sitzt.
Schon zehn Minuten später debattieren alle hitzig. Nur ich langweile mich. Und offenbar auch Nike. Für uns sind diese Fachsimpeleien unter Profis zu abgehoben.
Schon bald kommt man aber noch einmal auf das Labyrinth des Todes und die beste Spieltaktik zu sprechen. Das Eis ist gebrochen …
»Ihr solltet die Levels nicht so schnell durchlaufen«, rät uns die Chinesin. Sie liegt im Gras, den Kopf auf die Knie eines der Männer gebettet. »Die ersten fünf Levels muss man nutzen, um seine Ausrüstung zusammenzustellen. Da heißt es: suchen, suchen und noch mal suchen.«
»Wir müssen das Labyrinth so schnell wie möglich hinter uns bringen«, erklärt Dschingis.
»Indem ihr pro Level nur zwei Stunden ansetzt?« Die Chinesin setzt ein überlegenes Lächeln auf.
»Besser wäre es, wenn wir noch weniger Zeit bräuchten«, entgegnet Dschingis.
»Schneller geht es auf gar keinen Fall. Das ist die theoretisch mögliche Mindestzeit.«
Womit auch das geklärt wäre.
Wir sehen uns an. Das hat anscheinend niemand von uns gewusst.
»Das könnt ihr uns ruhig glauben«, meint der Alte. »Diese Zeit ist aufwendig berechnet worden. In der Praxis schafft es aber trotzdem kaum jemand in zwei Stunden. Wir sind im Moment auf dem besten Weg, eine Rekordzeit zu erzielen. Mit vier Stunden pro Level. Das macht dann vierhundert Stunden insgesamt.«
»Zu lange für uns«, murmelt Dschingis.
Der Alte lächelt nur, sagt aber kein Wort.
»Wann würde bei uns schon mal was glattlaufen«, wirft Bastard düster ein. Er hat sich im Gras ausgestreckt und reibt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den verletzten Arm. Wir haben alle MedKits für den Magier verwendet, da blieb für solche Lappalien wie Bastards Arm nichts übrig.
»Hier!« Der Alte reicht Bastard ein MedKit.
»Da sag ich nicht Nein.« Bastard presst sich den weißen Plastikwürfel auf den Arm und grinst erleichtert. »Danke. Damit habe ich schon gar nicht mehr gerechnet.«
»Keine Ursache. Wir haben genug davon.«
Das sind sie, die Vorteile, die ein gut geplanter Besuch im Labyrinth des Todes mit sich bringt. Zu bedauerlich, dass wir darauf verzichten müssen.
»Es wird Zeit, Leute«, sage ich und stehe auf.
Als Erste erhebt sich Nike mit einem Seufzer, dann folgen die anderen ihrem Beispiel.
»Ihr müsst schon entschuldigen«, wende ich mich an die andere Gruppe. »Aber wir haben wirklich keine Zeit zu verlieren.«
Niemand hält uns auf. Die Chinesin lächelt, die Europäerin reagiert nicht
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