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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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weiter auf unseren Aufbruch, genau wie die Männer und der Junge. Der Alte – wie alt er wohl tatsächlich ist? – zeigt sich ein wenig enttäuscht.
    »Viel Glück«, sagt er trotzdem.
    Die anderen aus meiner Gruppe gehen los, ohne sich von diesen versierten Spielern zu verabschieden. Aber auch ohne einen Streit mit mir vom Zaun zu brechen – obwohl vermutlich niemand über meine Entscheidung glücklich ist.
    Ich strecke dem Alten die rechte Hand hin, und wir verabschieden uns mit einem kräftigen Handschlag.
    Mit der linken Hand drücke ich derweil auf den Auslöser des Raketenwerfers. Das sanfte Schmatzen, mit dem die erste Rakete in den Lauf wandert, ist kaum zu hören.
    Nun kommt es einzig und allein darauf an, den Knopf weder zu früh noch zu spät loszulassen. Der Beschuss würde losgehen, sobald ich den Finger vom Auslöser nehme – oder nachdem die sechste Rakete im Lauf ist.
    »Euch auch«, wünsche ich dem Alten.
    Dann eile ich meinem Team hinterher. Dass meine Hand auf dem Raketenwerfer ruht, erregt bei niemandem Argwohn. Warum auch? Irgendwie muss ich die Waffe ja tragen.
    Da schmatzt es wieder.
    Ist jetzt der dritte oder schon der vierte Lauf geladen?
    Es schmatzt.
    Ich bleibe stehen und reiße den Raketenwerfer hoch. Ein Blick auf die Anzeige: Da leuchtet die Ziffer 5.
    Es schmatzt.
    Im letzten Moment durchschauen die sieben meine Absicht. Leider. Einer greift nach seiner Waffe, einer springt auf. Nur auf dem Gesicht des Alten spiegelt sich Verwirrung. Er macht den Mund mehrmals auf und zu. Ob er mich an den Waffenstillstand erinnern will?
    Die Waffe ist auf die Mitte der Gruppe gerichtet, vielleicht etwas weiter nach links.
    Sobald die sechste Rakete in den Lauf gewandert ist, vibriert der Raketenwerfer und spuckt einen flammenden Fächer aus.
Die sechs gleichzeitig abgehenden Raketen erzeugen einen derart heftigen Rückstoß, dass ich zu Boden gehe. Aus den Mündungen schießen Strahlen glühenden Gases …
    An der Stelle, an der unsere Konkurrenten eben noch friedlich beieinander gesessen haben, erstreckt sich nun ein schwarzer Streifen. Die Erde ist aufgerissen, als habe der Ripper eines Bulldozers hier sein Werk verrichtet. Die sechs Einschusstrichter sind leicht auszumachen.
    Alles in allem kein schlechter Schuss.
    Sechs der sieben sind hinüber, von dem Jungen ist nicht einmal mehr die geringste Spur übrig. Nur die Chinesin lebt noch und streckt jetzt wie in Zeitlupe die Hand nach ihrer Waffe aus. Ihre Lebenskraft kann sich nur auf ein paar lächerliche Prozent belaufen – die aber für einen Schuss reichen würden. Ich habe nicht die geringste Absicht, meine letzte Rakete zu vergeuden. Doch da erstarrt die Frau mitten in der Bewegung …
    »Was hast du getan?«, schreit Bastard.
    Pat steht mit offenem Mund da, Dschingis ist in Gedanken versunken. Maniac stiefelt mit finsterer Miene an mir vorbei, hockt sich neben einen der Trichter und fischt aus ihm einen völlig intakten Laserstrahler. Genau darauf habe ich gehofft. Wie viele kugelsichere Westen die Knallerei wohl überstanden haben? Die Wahrscheinlichkeit, dass sie nach dem Tod ihrer Besitzer unbeschädigt geblieben sind, liegt bei fünfzig Prozent.
    »Ljonka … das war …«, stammelt der Magier. »Wie konntest du nur …?«
    »Keine Sorge, sie werden uns deswegen nicht jagen«, sage ich. »Das passt nämlich nicht zu ihrer Taktik.«
    »Ljonka, aber hier gilt Waffenstillstand!«, hält er mir vor. »Das hättest du nicht tun dürfen!«
    »Ach ja? Waffenstillstand?«, explodiere ich mit einem Mal. »Das hier ist kein Sandkastenspiel! Wir sind hier, um …«
    Da fange ich Nikes aufmerksamen Blick auf. Sofort verstumme ich.
    Eine Fremde in der Gruppe stört eben doch.
    Die anderen haben sich inzwischen mit meiner Tat abgefunden. Der Magier seufzt noch einmal – und fängt dann ebenfalls an, die Trophäen in den Einschusslöchern einzusammeln.
    »Wenn du willst, kannst du gehen«, sage ich zu Nike. »Ich werde dir nicht in den Rücken schießen. Das schwöre ich.«
    Ich könnte mir vorstellen, dass sie mir das nicht abkauft.
    »Ausgerechnet jetzt? Wo ihr mich immer neugieriger macht? Nein, ich bleibe!«
    Bis auf Dschingis und mich suchen jetzt alle den rauchenden Boden nach Ausrüstung ab.
    »Ich habe gedacht, die Geschäftsleute von heute verfügen über eine recht biegsame Moral«, spreche ich ihn an.
    »Glaubst du etwa, ich habe Gewissensbisse«, entgegnet Dschingis. »Quatsch! Ich überlege nur gerade, ob es sich lohnt, auf die

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