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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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legt die Hand auf die Tastatur – und Nike und ich bleiben allein zurück.
    »Der Revolvermann …«
    Ich sehe sie an.
    »Also, der Revolvermann … über den im Labyrinth so viel geredet wird …«
    Ich schweige.
    »Bist du das?«
    »Ja.«
    »Dann spielst du nicht mit voller Kraft.«
    »Richtig.«
    »Wissen die anderen das?«
    Ich schüttle den Kopf.
    »Warum habt ihr es eigentlich so eilig?«
    »Haben wir nicht abgemacht, dass du keine Fragen stellst?«
    »Tut mir leid, Revolvermann.« Sie lächelt und sieht eher traurig als sauer aus. »Ich wollte mich nicht in eure Angelegenheiten einmischen. Wenn du tatsächlich der Revolvermann bist …«
    »Bin ich.«
    »Also … wenn ich euch aufhalte, dann sag’s mir. Dann hau ich ab und such mir ein anderes Team.«
    »Ich möchte sehr gern, dass du bei uns bleibst.« Ich weiß selbst nicht, warum ich das sage.
    »Und wieso?«
    In dem Camouflageoverall sind wir alle gleich. Geschlechtslos, formlos, vereinheitlicht. Fleischbrocken in der Uniform einer inexistenten Armee, Freiwillige in einer fiktiven Schlacht. Helden, die ihr Leben opfern, um Taten zu vollbringen, die niemand braucht.
    Wir unterscheiden uns nur durch die Gesichter über dem hohen Jackenkragen. Die Gesichter, die wir uns selbst ausgedacht haben. Es gehört nicht viel dazu, ein Gesicht zu designen. Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht. Du kannst alles selbst zeichnen oder vorbereitete Details zusammensetzen, wie früher mit dem Baukasten. Ein entschlossenes Kinn, ein schlaffes Kinn … Segelohren, enganliegende Ohren … Eine gerade Nase, eine Stupsnase …
    Schwierigkeiten bereiten mir einzig und allein die Augen. Manchmal muss ich sie ein Dutzend Mal umarbeiten, bevor sie lebendig wirken. Seitdem weiß ich, worauf es bei gezeichneten Gesichtern ankommt.
    Ich sehe nur ihre Augen.
    »Du gefällst mir«, sage ich schließlich. »Das kommt mir zwar ungelegen, aber gut, so ist es nun mal.«
    Dann lege ich die Finger auf die Tastatur.
    Das Passwort.
    Exit.
     
    Du verlässt das Labyrinth des Todes auch heute noch auf die gleiche Weise wie vor zwei Jahren: durch den riesigen Umkleideraum.
    Ich ziehe den Overall aus und stopfe ihn in den Spind. Dort wartet die Kluft des Revolvermanns auf mich – wie sollte es auch anders sein?
    Ich dusche mich in einer kleinen Kabine ab. Es ist ganz normales Wasser, ohne irgendwelche Anti-Viren-Chemikalien. Nachdem
ich mich wieder angezogen habe, zögere ich kurz, bevor ich die Tür aufmache.
    Das ist doch, als ob …
    … als ob eine Legende zurückkehrt! Der Revolvermann streift wieder durchs Labyrinth des Todes. Und zwar nicht allein, sondern mit einer Gruppe von Freunden. Nur hat sich der Revolvermann diesmal wirklich nicht besonders fair verhalten …
    Ich betrete den Säulensaal, von dem aus bereits die Straßen Deeptowns zu sehen sind. Was, wenn sich die Jagd auf mich wiederholt? Wenn ich erneut fliehen und mich in einem Puff verstecken muss?
    Doch der Saal ist leer. Jedenfalls fast. Eine Gruppe ist noch da. Die Leute unterhalten sich und lachen über irgendwas. Keines der Gesichter kommt mir bekannt vor. Gut. Die habe ich also nicht im fünften Level abgeknallt.
    Aber wo sind sie dann – die Erniedrigten und Beleidigten?
    Wo ist die Menge, die nach meinem Blut dürstet?
    Ich nähere mich dem Team und tu so, als würde ich jemanden suchen. Niemand achtet auf mich, man unterhält sich einfach weiter.
    »Hast du schon gehört, dass Semezki getötet wurde? Dreimal hintereinander!«
    »Und?«
    »Er ist jedes Mal sofort nach seiner Wiederbelegung ins Labyrinth zurückgekehrt und hat sein Team eingeholt …«
    Alle brechen in Gelächter aus.
    »He, Leute, habt ihr schon mal von einem Spieler namens Revolvermann gehört?«, frage ich.
    Verständnislose Blicke hier, ein desinteressiertes Schulterzucken da.
    Schließlich kommt ein junger Mann aus der Umkleide und wird von den anderen lebhaft begrüßt.
    »Na, endlich, Cruise«, ruft einer, »das hat ja ewig gedauert!«
    Nun strömt die Gruppe geschlossen aus dem Saal.
    Mich haben sie völlig vergessen – genau wie meine Frage.
    Mit gesenktem Blick stehe ich da und lächle verwirrt. Die Hand in meiner Tasche schließt sich fest um den Revolver.
    Wie schnell der Ruhm sich doch verflüchtigt …
    Aber warum hat sich Nike dann an mich erinnert? Na ja, wahrscheinlich hat sich die Frau gründlich auf ihre Karriere im Labyrinth des Todes vorbereitet.
    Und was hatte ich denn erwartet?
    Das Labyrinth ist längst nicht

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