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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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über einen total veralteten Server. Vielleicht sogar über den Rechner vom Wirt selbst. Nach einer Ewigkeit halten wir vor einem leuchtenden Schild, dem einzigen in einer dunklen Gasse.
    Zum toten Hacker.
    Was für eine hervorragende Maskierung! Das meine ich völlig ernst, ohne jede Ironie. Wie kann sich ein Hacker besser tarnen als mit diesem grellen Schild? Das niemand für voll nimmt.
    Denn für eine gute Tarnung gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder bist du absolut unauffällig – oder absolut grell.
    Ich zahle und gehe zum Eingang. Als ich die Tür aufstoßen will, zeigt sich, dass sie verschlossen ist.
    Ich komme mir wie der letzte Idiot vor, als ich laut sage: »Herz und Liebe!«
    Mit einem langen Quietschen öffnet sich die Tür.
    Kaum bin ich eingetreten, knallt die Tür hinter mir zu. Ich verstehe ja, dass sie sich wieder verschanzen wollen – aber wozu brauchen sie diese Geräuschkulisse?
    Die Bar ist eher klein und – womit ich nun wirklich nicht gerechnet hätte – ganz gemütlich.
    Eine schummrige Beleuchtung erfüllt den rechteckigen Raum. Die Wände, der Boden und die Decke bestehen aus kleinen Quadraten. Ich sehe genauer hin.
    Aus Disketten.
    Das hat Stil, ohne Frage.
    Die Disketten sind ganz unterschiedlich, manche offenbar neu, andere bereits beschrieben. Hier sind Programme drauf, dort Spiele, genauer gesagt: Teile von Programmen, Teile von Spielen.
    Langsam finde ich Gefallen an der Kneipe.
    Hinter dem Tresen bedient ein computergenerierter Barkeeper, ein fülliger, lächelnder Herr mit rosa Wangen.
    »Ein Bierchen«, bestelle ich und zeige aufs Geratewohl auf einen der Zapfhähne.
    Der Barmann nickt und füllt mir einen Krug ab.
    Es wird versucht, dein System zu checken. Ich habe eine Anfrage zur Identifizierung erhalten. Soll ich den Zugang zu den Systeminformationen freigeben?
    Vikas Stimme höre nur ich. Mit einem Lächeln auf den Lippen nicke ich dem Barkeeper zu und sage: »Ja.«
    Das Bier kostet nichts. Logisch. Wenn das hier ein Hackertreff ist, dann muss das Bier geklaut sein. Die eigenen Leute kriegen es umsonst, und Fremde kommen nicht rein.
    Mit dem Bier in der Hand schlendere ich vom Tresen weg und sehe mich in der Bar um. Es sind nicht viele Leute da. An einem Tisch sitzen zwei junge Typen, die aus dem Hacker-Bilderbuch entsprungen sein könnten. Genauer, aus einem Hollywoodfilm über Hacker. Sie haben ungekämmte lange Haare, Augen, in denen der Wahnsinn lodert, stecken in schlampiger Kleidung, gestikulieren wie wild und streiten über irgendwas. Solche Typen knacken in Actionfilmen nur wenige Sekunden, bevor die Bombe explodiert, ein extrem kompliziertes Passwort, durchforsten den Rechner des Pentagons, verständigen sich nicht mit Buchstaben, sondern mit Zahlen, stiefeln in jede Pfütze, legen aber im entscheidenden Moment einen Mut und ein Geschick an den Tag, das weniger an einen friedlichen Entwickler als vielmehr an einen Spezialagenten im Einsatz denken lässt.
    Was soll ich über diese beide Typen sagen? Vielleicht dient ihre Aufmachung der Imagepflege, vielleicht der Tarnung. Vielleicht spielen sie aber auch bloß »coole Hacker«. Wie kleine Kinder.
    Als ich an ihnen vorbeigehe, beachten sie mich nicht: Ich bin in ihre Kneipe gekommen – also bin ich einer von ihnen.
    Nun nehme ich eine Gruppe am Ende des Raums etwas genauer unter die Lupe.
    Eine junge Frau mit hübschem Gesicht, auf dem allerdings ein nervöser und angespannter Ausdruck liegt. Ein muskulöser
Mann, etwas älter als sie. Und jemand, der noch bis vor Kurzem mein Kollege gewesen ist und gerade im Körper eines Erwachsenen auftritt.
    Als ich auf den Tisch zugehe, frage ich per Blick, ob ich mich setzen darf.
    Der Mann und die Frau sehen sich an.
    Ilja glotzt stumpfsinnig ins Nichts, vermutlich döst er einfach vor einem vollen Krug Bier.
    »Wer bist du?«, will der Mann wissen.
    »Leonid.«
    Daraufhin wird der Blick des Mannes freundlicher. »Setz dich. Ilja hat dir das Passwort gesagt, oder?«
    »Ja.« Ich nehme neben ihm Platz und nippe an meinem Bier. Da ich nicht mitbekommen habe, welche Sorte es ist, trinke ich jetzt einfach ein Bier, ein abstraktes Durchschnittsgebräu. Soll mir auch recht sein.
    »Du bist ein Hacker?«, fragt die Frau in scharfem Ton.
    »Nein«, antworte ich ehrlich. »Nicht mal ansatzweise.«
    »Hier treffen sich nur Hacker«, erklärt mir der Typ. »Echte Hacker.«
    Ich trinke mein Bier und warte auf die Fortsetzung. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie mich nicht

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