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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Sofakante. Sie streichelte mir zärtlich das Gesicht.
    Ich atmete keuchend ein und setzte mich auf. Mir tat immer noch alles weh, und mein Kopf drohte im nächsten Moment zu platzen.
    »Du siehst aus wie ein Gespenst«, sagte Vika.
    »Hauptsache, ich sehe keine Gespenster …«, murmelte ich.
    »Hast du Kopfschmerzen?«
    »Ja.«
    »Warte!« Vika stand auf und ging rasch in die Küche. Ich hörte, wie sie in einem Schrank kramte, wie Geschirr klapperte, wie Wasser gluckerte. Analgin war schon immer die Erfindung der Menschen, die mir am liebsten ist.
    »Trink das!«
    Ich zerkaute zwei Tabletten und spülte sie mit Wasser runter. Vika stand neben mir, angespannt und … irgendwie verlegen. »Hattest du wieder einen Alptraum?«, fragte sie. »Du hast dich hin und her geworfen und irgendwas geflüstert.«
    Ich nickte.
    »Leonid, fragst du dich nicht manchmal, ob du eine Deep-Psychose hast?«
    »Nein, nie.« Ich trank gierig das Wasser aus – und stellte lieber nicht klar, dass ich mir diese Frage nicht mehr stellte, weil ich ihre Antwort seit Langem kannte.
    »Was hast du geträumt?«
    »Von Romka. Er war tot und gleichzeitig … lebte er. Wir haben miteinander gesprochen.« Mit Schaudern musste ich mir eingestehen, dass ich im Traum geglaubt hatte, wirklich den realen Romka vor mir zu haben.
    »Du musst mal abschalten, Ljonka …« Sie strich mir übers Haar. »Fahr irgendwohin … wo es keine Computer gibt, kein Internet … und keine Tiefe .«
    »Du meinst, aufs Land?«
    »Zum Beispiel. Hast du Lust dazu? Wollen wir zusammen fahren? «
    Ich sah ihr in die Augen. »Das machen wir. Sobald das alles vorbei ist.«
    »Was treibt ihr denn überhaupt in der Tiefe , Ljonka?«, fragte sie seufzend.
    »Wir gehen durchs Labyrinth des Todes.«
    »Kommt ihr gut voran?«
    »Wir haben es bis zum zehnten Level geschafft.«
    »Insgesamt sind es hundert, oder?«
    »Ja. Und du brauchst mir jetzt nicht zu sagen, wie viel Zeit es kostet, das gesamte Labyrinth zu durchlaufen. Das kleine Einmaleins hängt mir zum Hals raus.«
    »Den Eindruck habe ich nicht.« Sie stand auf.
    Ich blieb sitzen und beobachtete, wie Vika sich anzog und ein paar Bücher einsteckte. Dabei beschäftigte mich nur ein einziger Gedanke: Was für müde Augen sie hat! Die roten, müden Augen eines Menschen, der die ganze Nacht nicht geschlafen hatte. Sondern geweint hatte. Oder bis zum Morgengrauen mit einem VR-Helm vor der Kiste gehockt hatte.
    »Wann bist du wieder da?«, fragte ich.
    Vika runzelte die Stirn. »Um sechs … oder sieben. Was spielt das schon für eine Rolle? Du wirst sowieso in der Tiefe sein.«
    »Vika, versteh doch …«
    »Du weißt, dass ich immer alles verstehe. Das ist schließlich mein Beruf.«
    Sie weinte nie. Zumindest nicht in meiner Anwesenheit.
    »Heute bringen wir das Labyrinth hinter uns«, teilte ich ihr mit. Vika sah mich an, sagte aber kein Wort. »Vielleicht werde ich also ziemlich lange in der Tiefe sein. Mach dir dann bitte keine Gedanken, ja?«
    »Ihr wollt neunzig Levels an einem Tag schaffen?«
    Ich hüllte mich in Schweigen.
    »Viel Glück, Ljonka.« Vika sagte das ohne jeden Spott. »Allerdings glaube ich, du machst dir da selbst etwas vor.«
    »Aber nur wenn ich selbst daran glaube, werde ich auch die anderen überzeugen.«
    Sie nickte mir noch einmal zu und zog dann leise die Tür hinter sich zu.
    Ich erhob mich und ging ins Schlafzimmer.
    Der Laptop stand auf dem Nachttisch, da, wo andere Frauen sonst ihre Parfüms, Cremes und andere Kosmetik deponieren. Der VR-Helm und der Sensoranzug hingen an der Wand.
    Ich steckte die Hand in den Anzug und betastete den Baumwolloverall. Er war leicht feucht.
    Halten wir also fest: Ich litt nicht an einer Deep-Psychose, Vika ging nicht in die Tiefe …
    Selbstverständlich könnte ich ihren Rechner starten und mir die Logs ansehen. Wenn sich das nicht von selbst verbieten würde.
    Es gehört sich nämlich nicht, durchs Schlüsselloch zu linsen, das weiß jedes Kind.
    Ich fuhr mit der Hand über den Lap, als wolle ich im Nachhinein Vikas Zärtlichkeit erwidern. Dann ging ich unter die Dusche.
     
    Deep.
    Enter.
    Ein Tanz bunter Schneeflocken, Explosionen im Dunkel.
    Nun komm schon, du Schöpfung des heimlichen Genies Dima Dibenko, reiß die Barrieren zwischen Lüge und Wahrheit, zwischen der gezeichneten Welt und den echten Menschen ein! Lass mich den Geruch von Gras riechen, das Rauschen des Windes hören, die Härte des Felsens und die Wärme des Feuers spüren! Lass mich an die

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