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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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würde sich weiteramüsieren! Nachher würde er mir dann erzählen, was er alles erlebt hat!«
    Er kichert bei der Vorstellung, was der Doppelgänger in der Tiefe anrichten würde, wenn man ihn nicht kontrollierte.
    »Die dritte Testserie wurde unter Hinzuziehung der Deep box durchgeführt. Beklagenswerterweise ist die Reinheit des Experiments dadurch beeinträchtigt worden, dass die Probanden nur vierundzwanzig Stunden im virtuellen Raum bleiben können, und es nicht gelang, diese Barriere zu überwinden. Gleichwohl
können die erzielten Resultate als Erfolg gewertet werden. Hinweise auf das Afterlife ließen sich etwa gegen Ende der ersten Woche beobachten. Ab der Mitte des zweiten Monats war die virtuelle Person zu einer uneingeschränkten Tätigkeit von vierundzwanzig Stunden pro Tag imstande. Messbare Veränderungen in den Reaktionen und im Verhalten ließen sich selbst während des Schlafs des (menschlichen) Operators oder nach seinem Aufwachen aus der Deep-Hypnose nicht feststellen. Unabhängige Experten haben der Figur ein angemessenes Verhalten bescheinigt, sie nimmt am gesellschaftlichen Leben ihres Milieus teil und zeigt die dem Operator eigenen intellektuellen, emotionalen und sexuellen Reaktionen. Signifikante Abweichungen sind hingegen im Verhalten der (menschlichen) Operatoren festzuhalten. Ihr Interesse an der realen Welt sinkt stark, sie zeigen emotionale Indifferenz und gewisse Defizite im Umgang mit Menschen außerhalb Deeptowns, darunter auch mit Individuen, die zuvor besondere Relevanz für sie hatten. Außerhalb der Deep box oder ohne einen Computer wird der Operator nervös, gerät leicht in Erregung und zeigt eine erhöhte Affinität zu Alkohol- und Drogenkonsum. Die sexuellen Reaktionen reduzieren sich dagegen auf ein Minimum. Die Fähigkeiten zur Analyse einer Situation und die intellektuelle Tätigkeit leiden indes nicht. Die Operatoren zeigen ein Maximum an Einfallsreichtum, um eine Fortsetzung des Experiments zu erreichen. Im Verhalten wurde eine auffällige Korrelation mit Prozessen beobachtet, die eine Drogenabhängigkeit begleiten. Die Interpolation der Daten erlaubt die Hypothese, dass die Operatoren der zweiten Testserie am Ende des zweiten Jahres des Experiments ähnliche Veränderungen zeigen werden.«
    Alle schweigen.
    Jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach.
    Auch ich.
    Dieses Wissen muss Romka das Leben gekostet haben. Nicht die Entdeckung, dass Dibenko eine Künstliche Intelligenz geschaffen hat. Nicht das Wissen um die Möglichkeit, das eigene »Ich« in die virtuelle Welt zu kopieren.
    Nein, was ihn in Panik versetzt hat, was ihn dazu gebracht hat, mit den Daten zu fliehen, sie zu verstecken und seine Spuren zu verwischen – das war dieser Passus.
    In ihm hat er einen Blick in die Zukunft geworfen. In die Zukunft von uns Menschen. Nicht der Menschen, die in die Tiefe gehen, um zu arbeiten, zu entspannen, Freunde zu finden oder sich zu verlieben. Ja, noch nicht mal von den Menschen, für die die Tiefe nur Diebstahl, Intrigen, Gemeinheit und Ausschweifungen bedeutet.
    Sondern von Millionen von Menschen, die nur noch ein Anhängsel einer virtuellen Figur sind. Millionen von lebenden Maschinen mit geröteten, entzündeten Augen und Muskelschwund, Millionen von in Stücke gerissenen Menschen, die am Monitor kleben, mit einem Helm auf dem Kopf, oder in der Deep box hocken, nur damit sich die elektronische Nadel in ihren Verstand bohrt und sie mit den durch die Tiefe schwirrenden Teilchen zu einem Ganzen zusammenflickt.
    Das ist sie, unsere Zukunft. Das süße Paradies der Eloi, die in virtuellen Gärten leben.
    Und natürlich der Herden von Morlocks. Es ist nämlich durchaus nicht gesagt, dass die Morlocks nachts die Wohnungen der Eloi heimsuchen und deren süßes Fleisch benagen müssen. Die Zeit der Nachtgespenster gehört der Vergangenheit an, Mister Wells. Und Sie, mein verehrter Träumer aus Großbritannien, können von Glück sagen, dass sie das nicht mehr erleben. Daten bedeuten Macht, das weltweite Netz bedeutet Macht, eine Atomrakete kann man auch aus der Tiefe zünden, und man kann sogar lernen, Roboterpolizisten herzustellen. Ebenso wenig ist es
ein Problem, die Betonbunker, in denen Deep box stehen, mit einem elektrischen Zaun zu sichern. Oder den Imperator aus dem Labyrinth mit MGs auszustatten.
    Aber warum solche Schreckensszenarien entwerfen?
    Auch ohne sie wäre die Zukunft düster genug.
    Wenn du gut lernst, mein Junge, darfst du ins Paradies …
    Wozu

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