Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)
Internetverbindung und ein kleines Programm …
Und nun gab es ein neues Programm, das dir in der Tiefe zu Unsterblichkeit verhalf, das einen elektronischen Abdruck von dir erzeugte. Gut, es war ziemlich groß. Aber auch die Kapazitäten der Hardware waren inzwischen ja andere …
Eine Kopie. Eine neue Persönlichkeit. Ein elektronischer Symbiont.
Nenn es, wie du willst. Du kannst sicher auch noch ewig mit diesem Programm herumexperimentieren, es testen und darüber diskutieren. Vermutlich alles zugleich. Das ändert jedoch nichts an einer Tatsache: Dieses Programm ist nicht einfach reizvoll – es ist eine echte Versuchung.
Wer würde ihr widerstehen?
Und was würde aus Deeptown werden, wenn es genauso viele elektronische Kopien wie lebende Menschen gibt? Würden die Kopien das brauchen, was die Menschen in der Tiefe geschaffen haben? Oder würden sie einiges mit leichter Hand über Bord werfen? Würden sie den unvollkommenen Menschen noch etwas übrig lassen? Und wie viel von den Prototypen würde noch in diesen Symbionten stecken? Wie weit würden sie eine eigene Persönlichkeit entwickeln?
Konnte die Zahl der Kopien überhaupt derart ansteigen? Da eine virtuelle Figur nicht über einen einzelnen Rechner zu laufen vermag, würde sie auf einen Teil der allgemein zugänglichen Ressourcen des Internets zurückgreifen. Solange es sich noch um Experimente handelte, hielte sich das alles im Rahmen. Aber was, wenn die Zahl der Figuren auf ein paar Dutzend oder ein paar Hundert anwächst? Wie viele solcher Figuren würde das Netz verkraften?
Und was würden diese elektronischen Trugbilder unternehmen, wenn sie erkennen – und das würden sie früher oder später – , dass ihnen Grenzen durch die Ressourcen gesetzt sind?
Würden sie das Auftauchen neuer virtueller Persönlichkeiten verhindern? Würden sie zur Waffe greifen?
Oder …
Die Rechner, mit denen wir heute arbeiten, sind mehr oder weniger an ihre Grenzen gelangt. Aus Silizium und Germanium ist herausgeholt worden, was herauszuholen war. Aber das quantitative Wachstum würde über kurz oder lang dem qualitativen Platz machen. Dann würden Computer auf den Markt kommen, die auf völlig neuen Prinzipien basieren. Ich erinnere mich noch genau an die Zeiten, in denen ich einen 386er für die schnellste und professionellste Kiste gehalten habe – und heute musst du dich schämen, wenn bei dir zu Hause ein Pentium oder Pentium II steht.
Alles hing davon ab, wann und wie Dmitri Dibenko beabsichtigte, sein neues Projekt, die Software Artificial nature , auf den Markt zu werfen. Dann würde sich entscheiden, welchen Lauf die Geschichte nimmt.
Aber Dibenko konnte ich immerhin fragen, wenn ich wollte.
Blieb der Dark Diver. Was würde er mit dem Programm tun?
Würde er es frei zugänglich ins Netz stellen?
Würde er für ungeheure Summen Raubkopien verkaufen?
Oder es ausschließlich für sich selbst nutzen?
Würde er den Kampf gegen Artificial nature aufnehmen, bevor Dibenko sie auf den Markt bringt?
Würde er nach Schwachstellen in der Shell suchen?
Ein Haufen Fragen. Ich wusste nicht das Geringste über den Dark Diver. Ich hatte eine gewisse Ahnung … aber im Moment zog ich es vor, der Sache nicht auf den Grund zu gehen.
Ich stand langsam aus dem knarrenden Stuhl auf, schlüpfte aus dem Sensoranzug und legte ihn aufgeknöpft über die Stuhllehne. Ich lugte zur Schlafzimmertür hinüber.
Ein schwaches Licht schimmerte darunter hervor. Die Brücke zwischen Wachen und Schlafen …
Ich trat an die Tür heran, öffnete sie leise und spähte hinein.
Vika schlief nicht. Sie saß auf dem zerwühlten Bett vor dem eingeschalteten Laptop und stierte auf den Monitor, der ihren Bildschirmschoner zeigte: einen Wald, eine Frau mit einem Bogen in der Hand, neben ihr sitzt ein Wolf …
Wenn sie doch bloß schon geschlafen hätte! Dann hätte ich sie nicht geweckt! Und morgen … morgen würde ich mich bestimmt nicht trauen, ihr meine Fragen zu stellen.
»Gutes Zeitfenster … Nike!«, sagte ich.
Vika rieb sich fröstelnd über die nackten Schultern.
»Gutes Zeitfenster, Revolvermann«, sagte sie, ohne sich umzudrehen.
01
Ich setzte mich neben sie.
Von außen betrachtet war das alles sehr merkwürdig. Eine fast nackte Frau, ein halbnackter Mann … Da saßen zwei Menschen nebeneinander, die sich liebten. Die im Leben etwas mehr erlebt hatten als andere Menschen. Sie saßen da und schwiegen, weil jedes Wort nur Unglück heraufbeschwören würde.
»Vika
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