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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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auf den Dark Diver an, oder?«
    »In erster Linie, ja. Über die anderen wissen wir schließlich nichts. Er hat nichts von seinem Talent eingebüßt. Behauptet jedenfalls Dibenko.«
    Vika seufzte.
    »Ich habe heute mit ihm gesprochen. Wenn Dibenko mich nicht angelogen hat, dann hat der Dark Diver seine Fähigkeiten nicht nur in vollem Umfang behalten, sondern sie sogar noch vergrößert. Er jagt diesen Daten nach, auf die er Bastard und Romka angesetzt hat. Er hasst Dibenko … und versucht, ihm zu schaden.«
    »Deshalb hast du mich also nach Dibenko gefragt …«
    Ich antwortete nicht, sondern langte nur nach ihrer Hand.
    Warum hatte ich ihre Augen nicht in denen von Nike erkannt? Warum hatte ich ihre Stimme nicht gehört, die Wärme ihrer Hand nicht gespürt?
    Weil ich vergessen hatte, wie sich all das anfühlte – in der Realität? Wie Vika war. Die echte Vika, nicht die gezeichnete auf dem Bildschirm. Weil ich vergessen hatte, wie die Vika war, mit der ich Tisch und Bett teilte?
    Märchen enden nicht umsonst mit der Hochzeit. Wobei: Manchmal kommt der Drache ja erst nach der Hochzeit. Ein großer, böser feuerspeiender Drache, der es liebt, Männern die Braut zu entführen. Dann haben die Märchen die winzige Chance, noch ein bisschen länger zu dauern.
    Muss man diesen blöden Drachen vielleicht extra züchten – damit das Märchen nicht zu schnell endet?
    Ich hasse Drachen. Und diejenigen, die sie züchten.
    »Ich bin nicht der Dark Diver, Ljonka. Wirklich nicht.«
    »Vika …«
    Einen Moment lang kam es mir so vor, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Ich zog sie an mich, umarmte sie noch fester und streichelte ihr mit einer Hand das Gesicht. Es war trocken.
Vika konnte nicht weinen. Der designten Vika hatte ich das nicht beigebracht – und die echte hatte es von selbst verlernt.
    »Ich brauche keine Waffe der dritten Generation, denn ich habe nicht die Absicht, irgendjemanden umzubringen. Weder in der Realität noch in der Tiefe .«
    »Es geht nicht um eine Waffe. Diese Dateien …«
    »Was enthalten sie eigentlich?«
    Ich hielt Vika nach wie vor umfasst. Ich hatte gar nicht genug Hände, um alle zu umarmen, die Trost nötig hatten. Ich war nicht stark genug, um alle vor dem Ertrinken zu retten. Ich hatte nicht genug Leben, um wenigstens eines so zu leben, wie ich es wollte.
    Doch du kannst immer nur das tun, was in deinen Kräften steht. Mehr nicht.
    »Es geht um ein Projekt, bei dem niemand getötet wird. Im Gegenteil. Es entsteht neues Leben. Nur weiß ich nicht, ob die Tiefe dieses Leben braucht.«
    Dann erzählte ich ihr alles.
    Angefangen von dem Moment an, als ich auf den Abzug gedrückt hatte – obwohl ich bereits ahnte, wen ich tötete.
    Ich erzählte über den Tempel, in dem jeder von uns in der Wand verewigt war.
    Den Besuch von Dibenko.
    Die Ankunft der anderen.
    Über den Brief mit den Dateien.
    Bis hin zur Artificial nature .
    »Dieses neue Leben tötet bereits …«, flüsterte Vika. »Obwohl es noch nicht mal seine ganzen Kräfte voll entfaltet hat.«
    »Es ist nicht dieses Leben, das tötet.«
    »Es spielt ja wohl keine Rolle, wer den Abzug drückt, ein Killer, der weiß, womit er schießt, oder ein begeisterter Teenie, der nicht mal ahnt, was er anrichtet. Dieses Leben tötet bereits, das
ist seine zweite Natur. Es kämpft um seine Existenz, um seinen Platz unter einer gezeichneten Sonne. Bisher noch mit unseren Händen.«
    »Diese Wesen können nicht in die reale Welt gelangen. Niemals. Der Imperator kann das Labyrinth nicht verlassen, die elektronischen Symbionten können …«
    »Dafür kann es passieren, dass wir für immer dort bleiben. Und dann wird es gar nicht so viele Diver geben, die nötig wären, um alle zu retten.«
    »Nur wird dann auch niemand mehr gerettet werden wollen. Genau das ist ja das Schreckliche …« Ich atmete so tief durch, als wollte ich ins Wasser springen und tauchen, um die nächsten Worte auszustoßen: »Ich verlasse Deeptown. Ich bin stark genug, um das zu tun.«
    »Nein, du wirst Deeptown nicht verlassen.« Sie hob den Kopf und lächelte. Schwach nur, aber immerhin. »Oder willst du jetzt etwa fliehen?«
    »Was soll ich denn sonst machen?«
    »Du bist ein Diver!«
    »Ich bin ein Niemand!«
    »Du bist ein Diver! Noch bist du imstande, die Welt nicht durch eine rosarote Brille zu betrachten! Noch bist du imstande, zu gehen und wiederzukommen! Noch kannst du dich in den Kampf stürzen! Denn du bist ein Diver! Und nur darauf kommt es an, Ljonka!

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