Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)
könnte ein Motorrad oder ein Auto mieten, denn ganz in der Nähe des Hotels liegt ein Parkplatz, doch ich vertraue lieber auf den Deep-Explorer.
Kaum hebe ich die Hand, rauscht ein gelber Mini um die Ecke. Am Steuer sitzt ein angepunkter Typ, einer der Standardavatare für Fahrer.
»Ins Restaurant Die drei kleinen Schweinchen «, sage ich, als ich einsteige.
»Die Fahrt dauert drei Minuten«. Der Fahrer hat einen leichten Akzent, baltisch, würde ich vermuten.
Gerade als das Auto anfährt, piept mein Pager. Mit einer Vorahnung, wer am anderen Ende ist, drücke ich auf die Empfangstaste.
»Hi«, begrüßt mich Maniac. »Ich komme. Warte auf mich.«
Kein Wort zu viel.
Täusche ich mich oder hat er inzwischen einen genauso starken Akzent wie der Fahrer? Wahrscheinlich täusche ich mich. Schließlich ist Maniac erst vor einem Jahr ausgewandert.
Er ist völlig überraschend in die Staaten gegangen. Und er ist damals nicht der Einzige gewesen … Aber bei den meisten wusstest du lange im Voraus, was sie vorhatten. Nicht so bei Schurka, der erst mit der Sprache herausgerückt ist, als er schon ein Flugticket nach Seattle in der Hand hielt. Noch zu Sowjetzeiten waren die russischen Juden ebenso klammheimlich nach Israel ausgewandert, auch sie hatten bis zum Schluss niemandem ein Sterbenswörtchen gesagt.
Das Absurde an der ganzen Sache ist aber, dass ich selbst jetzt noch nichts von den Veränderungen in Schurkas Leben zu wissen
bräuchte, denn Vika und ich waren ja nach Moskau gezogen. Schurka und ich, wir sahen uns sowieso nur noch in der Tiefe .
Oder nein, sein Umzug wäre mir wohl doch nicht entgangen, schließlich konnten wir uns selbst in der Tiefe heute nicht mehr problemlos sehen … Normalerweise gehe ich ja nachts in die Tiefe – und da ist bei ihnen gerade Tag, und Maniac muss arbeiten. In der virtuellen Welt spielen Entfernungen zwar keine Rolle mehr, die Zeit aber schon.
Das Auto fährt durch verlassene Gassen. Kurz blinken in der Ferne die Paläste von Microsoft auf, dann erreichen wir einen Prospekt, und ein paar Sekunden später hält der Fahrer bereits vorm Restaurant.
Ich zahle und steige aus. Vor dem Gebäude bleibe ich einen Moment stehen, um es zu betrachten. In der Gegend hat sich viel getan, etliche Häuser wurden abgerissen, andere sind neu entstanden. Das Restaurant selbst ist jedoch unverändert. Ein Bau, der zu einem Drittel aus Stein, zu einem Drittel aus Holz und zu einem Drittel aus Strohmatten besteht.
Das klügste Schweinchen hat sein Haus natürlich aus Stein gebaut. Es darf auf meinen Beifall zählen. Trotzdem ist vielleicht das jüngste Schweinchen das cleverste. Es hat sich mit Strohmatten begnügt – denn im Winter sucht es eh Zuflucht im soliden Ziegelhaus seines Bruders. Dafür kann es jedoch den Sommer in vollen Zügen genießen.
Grinsend gehe ich zum Eingang im Teil mit Strohmatten.
Wie es wohl weiterging, nachdem das klügste Schweinchen seine beiden kleinen Brüder aufgenommen hat? Sicher, der Haushalt von Schweinchen Schlau war gut in Schuss. Aber ein paar fleißige Hände schaden ja nie, vor allem dann nicht, wenn sich der Lohn in Kost und Logis erschöpft.
Erst als ich den Bambusvorhang an der Tür zur Seite schiebe, wird mir bewusst, was ich gerade mache.
Proteus lächelt.
Ich lächle.
Mit diesem Lächeln – das zwar verschlagen ist, aber sei’s drum – betrete ich den asiatischen Teil des Restaurants.
Krach wogt mir entgegen.
Seit einem Jahr bin ich nun nicht mehr in den Schweinchen gewesen. In dieser Zeit ist der Innenraum beachtlich angewachsen, obwohl von außen alles beim Alten geblieben ist. Ein Becken ist dazugekommen, in dessen Mitte eine winzige Steininsel liegt, auf der sich eine blühende japanische Kirsche erhebt, die bis zur Decke reicht. Die Zahl der Tische ist aufgestockt worden, ebenso wie die der Kellner. Und ich würde jede Wette eingehen, dass es sich bei Letzteren ausnahmslos um echte Menschen, nicht um Programme handelt.
Ob ich mich hier mal nach einer Stelle erkundigen sollte? Vielleicht würde mich der Besitzer ja aus alter Freundschaft einstellen. Zu verachten wäre es nicht. Ein guter Job, du kommst unter Menschen …
Ein lächelnder junger Kellner im weißen Anzug schwirrt auf mich zu. Sein Gesicht hat eher koreanische als japanische oder chinesische Züge.
»Ich erwarte noch einen Freund«, informiere ich ihn.
»Gern. In dem Fall …«
Er geleitet mich zu einem Drehtisch in einer Ecke, entfernt zwei überzählige
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