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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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war.
    Immerhin habe ich am Ende noch von der Sache Wind bekommen. Daraufhin bin ich den Korridor zwanzig Schritt in jene Richtung hinuntergelaufen, die ich mir vor langer Zeit verboten hatte.
    Wofür ich glattweg unter Beschuss genommen wurde.
    Soll der renommierte Tiefenexperte Andrej Nedossilow Diver ruhig für einen Mythos halten – jemand anders tut das nicht.
    Und darauf kommt es an.
    Denn so lange du als gefährlich giltst, lebst du. Bist du erst mal eine Leiche, tritt dein Feind dich mit Füßen, stößt dich in eine Schlucht und überlässt dich den Schakalen zum Fraß. Aber er feuert keine Kugel auf dich ab.
    Abermals lächle ich, als der Kellner mit einem Tablett heraneilt. Ich bin ein Diver. Ex -Diver gibt es nicht. Noch lebe ich.
    Zwei Meter vor meinem Tisch wirft der Kellner einen Blick zurück in die Küche, stolpert und fällt. Das Tablett wird hoch in die Luft katapultiert.
    Tiefe, Tiefe …
    Nein, ich bin nicht zum ersten Mal im japanischen Teil des Restaurants. Ich weiß genau, dass alles glimpflich ausgeht. Ich würde nur … zu gern den Retter spielen.
    … ich bin nicht dein …
    Das Bild wirkte nicht länger real. Ich hörte einen erschreckten Schrei, sah die Bauchlandung des Kellners, der dann sofort herumwirbelte und die Arme hochriss. Gleich würde er zwei Schalen mit den Händen auffangen, das Tablett kurz vorm Aufschlagen mit dem Fuß retten und die Schalen darauf stellen. Seine Bewegung würde in eine verlegene Verbeugung auslaufen, mit der er sich, das Tablett auf der linken Hand balancierend, die rechte an die Brust gepresst, vor den Gästen verneigt.
    Eine kleine Showeinlage.
    Die ich ihm allerdings versalzen würde.
    Ich sprang auf, nichts leichter als das. Jedes Spiel, bei dem du dich vor Schüssen und einstürzenden Mauern in Sicherheit bringen musst, verlangt dir mehr ab. Ich flog über den Kellner hinweg, fing die Schalen in der Luft ab und gab dem Tablett mit dem Ellbogen einen Stups, sodass es sich in der Luft drehte. Anschließend wirbelte ich herum und zog die Nummer des Kellners bis zum Ende durch. Nicht mal die Verbeugung vergaß ich.
    Der Kellner lag mit ausgestreckten Armen auf dem Boden, seinen Gesichtsausdruck konnte ich nicht deuten.
    Deep.
    Enter.
    Der Kellner steht auf, presst erst die Hände verlegen vor die Brust – um mir dann zu applaudieren.
    Hut ab! Obwohl ich ihm die Show gestohlen habe, macht er gute Miene.
    Feierlich überreiche ich ihm das Tablett und setze mich wieder.
    »Der Herr macht Kung Fu?«, erkundigt er sich, als er die Schalen vom Tablett nimmt.
    »Ein wenig«, antworte ich vage. Um uns herum diskutieren die Gäste lauthals die Einlage. Wahrscheinlich glauben sie nicht,
dass ich mir das spontan habe einfallen lassen. »Tut mir leid. Ich hoffe, Sie kriegen deswegen keine Schwierigkeiten? Schließlich habe ich Ihnen Ihren Auftritt vermasselt.«
    Der Kellner grinst. Offenbar ist er tatsächlich nicht sauer. »Kein Problem. War für mich ja auch mal eine Abwechslung. Ich bringe Ihnen gleich den Sake.«
    Proteus hat eine Schachtel Zigaretten in der Tasche, die ich jetzt heraushole, um mir eine anzuzünden und damit den neugierigen Blicken zu entgehen. Sollen sich die Gemüter erst mal wieder beruhigen.
    »Du arbeitest wohl im Zirkus?«
    Ich drehe mich um. Maniac.
    Er hat viele Avatare, die aber durchweg einfach zu erkennen sind. Sie alle tragen eine betonte Unauffälligkeit und Durchschnittlichkeit zur Schau. Und meistens sind es dunklere Typen, jedenfalls habe ich Maniac noch nie blond oder rothaarig erlebt, sondern immer mit schwarzem Haar und dunklerer Haut.
    »Hallo!«
    Wir begrüßen uns per Handschlag und überspielen eine unvermeidliche Verlegenheit, wie sie sich immer einstellt, wenn du jemanden lange nicht gesehen hast.
    »Du … bist also zurück?«, fragt er, sobald er sich gesetzt hat.
    In seinem Blick spiegelt sich Neugier, immerhin weiß er, wie es um uns Diver steht. Einmal hat er mir angeboten zu helfen, einen Job zu finden, entweder in den Staaten oder in Russland, ja, er hat mich sogar gefragt, ob ich nicht Programmierer werden will. Ein guter Witz. Als ob du einem alten Bären noch das Tanzen beibringen kannst.
    »Ich brauche Hilfe«, komme ich ohne Umschweife zur Sache.
    Doch da sich gerade der Kellner nähert, spreche ich nicht weiter.
    »Jutsu hao min«, bestellt Maniac, »bacon and egg, Drachenaugen und grünen Tee.«
    Der Kellner entfernt sich lächelnd. Neugier packt mich. Dass Maniac gebratene Nudeln mag, weiß ich. Aber

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