Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)
mustern sie mit unverhohlener Neugier meinen blutverschmierten Körper.
»Das waren diese netten kleinen Vögel, oder?«, fragt die Schwarze und schnalzt mit der Zunge.
Lässt sich an meinem Äußeren wirklich ablesen, wie weit ich gekommen war?
»Oder doch die Fliegen?«
Fliegen erwarten uns da auch noch?
Ohne ein Wort zu antworten, gehe ich unter die Dusche, um mir das Blut abzuwaschen.
Als ich mich anziehe, ruhen alle Blicke auf mir. Einige sind verständnisvoll, andere verächtlich.
»Kopf hoch!« Der Sergeant legt mir die Hand auf die Schulter. »Du hast Talent. Aber du bist allein losgezogen, noch dazu ohne jede Erfahrung.«
Ich habe nicht den geringsten Wunsch, mich in ihre Mannschaft einzureihen. In einem Team zu spielen. Mich mit anderen Gruppen zu messen. Schließlich bin ich nicht hierhergekommen, um zu spielen!
Es würde mich offenbar tatsächlich einen Monat harter Arbeit kosten, das neue Labyrinth des Todes zu durchlaufen.
Das war zu lange, wenn ich eine Katastrophe verhindern wollte.
100
Richard und ich trinken Kaffee.
»Du bist also wirklich davon überzeugt, dass eine Waffe der dritten Generation existiert?«
Eigentlich hätte er diese Frage längst stellen müssen. Die Enthüllung musste ihm also einen gewaltigen Schock versetzt haben.
»Ja«, antworte ich.
»Wir müssen Romans Krankenakte prüfen«, fährt Richard fort. »Außerdem besteht bei euch doch Wehrpflicht, da werden ihn die Armeeärzte gründlich untersucht …«
»Dick«, falle ich ihm ins Wort, »wir leben nicht in Kanada. Und auch nicht in Israel. Bei uns beschränken sich Armeeärzte darauf festzustellen, ob annähernd alle Extremitäten vorhanden sind.«
»Wenn diese Waffe wirklich entwickelt worden ist, verwandelt sich Deeptown in ein riesiges Schlachtfeld«, sagt Crazy. »Denn es gibt keinen prinzipiellen Unterschied zwischen einem Programm mit lokaler Anwendung, das nur einem konkreten Menschen schadet, und einer Bombe, die weite Teile des virtuellen Raums versengt. Es braucht nur ein einziger Psychopath aufzukreuzen, und schon ist die Katastrophe da.«
Richard hat recht. Wenn man am eigenen Schreibtisch aus einer alten Pistole eine Atombombe bauen könnte, hätte sich die Welt längst in eine radioaktiv verseuchte Wüste verwandelt.
»Was könnten die geklauten Dateien enthalten haben?«
»Ich weiß es nicht, Crazy. Die Firma handelt eigentlich mit irgendwelchem Kram für Anwender, mit Schnickschnack für die Peripherie. Aber …«
»Ob sie diese Waffe entwickelt haben?«
Das ist natürlich die Variante, die am nächsten liegt. Dass in den Reihen von New boundaries irgendein verrücktes Genie à la Dima Dibenko aufgetaucht war, der quasi nebenbei ein Programm geschrieben hat, mit dem man Menschen aus der Tiefe heraus in der Realität töten kann. Die kreuzdämliche Unternehmungsleitung muss dann ihre Security-Leute prompt mit diesen neuen Waffen ausgestattet haben. Danach brauchten sie vermutlich etwas Bedenkzeit, um zu entscheiden, ob sie die Entwicklung verschachern, mit ihr große Elektronikkonzerne erpressen oder aber gleich die gesamte virtuelle Welt erobern sollten.
»Ich weiß es nicht, Crazy.«
»Für das Labyrinth bedeutet das jedenfalls das Ende«, schlussfolgert Crazy. »Das ist schade, aber nicht weiter schlimm. Aber es bedeutet auch für die gesamte Tiefe das Aus.«
»Als ob es darum geht«, platze ich heraus. »Es besteht die Gefahr, dass Hunderttausende von Menschen vor ihrem Bildschirm verrecken!«
»Vielleicht würde es ja reichen, erst mal ein Gerücht in die Welt zu setzen. Damit niemand mehr in die virtuelle Welt geht, meine ich«, lässt Crazy seinen Gedanken freien Lauf. »In der Zwischenzeit könnten wir endgültig die Frage klären, ob diese Waffe tatsächlich existiert.«
»Ein Gerücht wird niemanden überzeugen, Dick. Denk doch mal daran, wie viele unsinnige Geschichten in der Tiefe die Runde machen.«
Crazy zieht eine Flasche Whiskey hervor und schenkt uns beiden großzügig ein. »Betrachten wir das Ganze doch mal aus
einer anderen Richtung! Wer ist dieser Dark Diver, der den Hack in Auftrag gegeben hat?«
»Darüber haben wir keine konkreten Informationen.«
»Und das macht ihn verdächtig, oder?«, entgegnet Dick. »Er hat bestimmt gewusst, was Sache ist!«
»In dem Fall wäre er ein Verbrecher, denn ein anderer sollte für ihn die Drecksarbeit erledigen, und er wusste, dass der nicht rechtzeitig aus der Tiefe herauskommt.«
»Seine Moral steht auf einem anderen
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