Der falsche Zeuge
keine Zeit dafür.«
»Du hast also mit Angantýr über ihre Bitte gesprochen?«
»Der Minister wusste von ihrem Wunsch.«
»Von dir? Oder von seinem Sekretär im Ministerium?«
»Salvör sagte, dass sie auch mit Sigurdur Pálmar über ein Interview gesprochen hätte.«
Jódís ist schlau. Das ist eindeutig. Und sie ist ständig auf der Hut.
Sie lässt es so aussehen, als würde sie meine Fragen beantworten, gibt aber so wenig Informationen wie möglich preis. Verhält sich wie ein geübter Politiker.
Deshalb falle ich mit der Tür ins Haus: »Was glaubst du, wer am ehesten dafür in Frage kommt, Bestechungsgelder von der Bushron-Gesellschaft angenommen zu haben?«
»Ich halte es für völlig abwegig, dass so etwas vorgekommen sein soll.«
»Verdächtig sind doch vor allem erst mal alle, die für das Ministerium und den Privatisierungsausschuss arbeiten, nicht wahr? Und vielleicht auch einflussreiche Abgeordnete?«
»Es gibt immer genügend Leute, die Spaß daran haben, Verleumdungen und Lügen über die zu verbreiten, die das Land regieren. Aber ich hoffe doch, dass du nicht dazu beiträgst, dieser üblen Nachrede den Weg zu ebnen.«
»Was kannst du mir über IEA berichten? Icelandic Energy Advisors?«
Jódís erstarrt plötzlich. Sie sitzt wie eine Statue im Sessel. Sogar die Finger, die mit der Goldkette gespielt haben, legen eine Pause ein.
»Diesen Namen habe ich bis jetzt noch nie gehört«, antwortet sie schließlich und beginnt wieder, am Armband herumzufummeln. »Ist das eine Art Consulting-Firma?«
Ich erlaube mir ein Lächeln.
Ich bin davon überzeugt, dass sie mich anlügt. Genau wie Siggi Palli. Sie ist nur viel geschickter in dieser Kunst als er.
»Vielleicht kennt ja dein Herr Papa den Laden?«, frage ich.
Die Klingel rettet sie. Es schellt an der Wohnungstür vorne auf dem Flur.
Jódís steht langsam auf und geht auf ihren roten Schuhen mit den hohen Absätzen ruhig aus dem Wohnzimmer. Ihre Bewegungen sind energisch. Aber gleichzeitig weich.
Sexy.
Ich höre, dass sie mit jemandem vorne in der Diele redet. Dann kommen Vater und Tochter ins Wohnzimmer.
Angantýr hat sich auch hergerichtet. Hat einen dunkelblauen Anzug unter einem schwarzen Wintermantel an. Dazu trägt er eine bunte Krawatte jener Art, von der Politiker meinen, sie zeige den Wählern, dass sie modeinteressiert sind.
Und sie sehen zusammen wirklich fantastisch aus. Ein schönes Paar in seiner schicksten Garderobe.
Máki hat Recht gehabt. Sie geben eher das Bild eines Ehepaares ab als das von Vater und Tochter. Obwohl der Altersunterschied eindeutig ist.
»Der Minister hat auch noch nie etwas über die Firma gehört, nach der du gefragt hast«, sagt Jódís. »Also hat sie noch nie für das Ministerium gearbeitet.«
Ich stehe auf.
»Hast du Salvör am Tag, als sie starb, getroffen?«, frage ich Angantýr.
»Nein«, sagt er und setzt sein Gewohnheitslächeln auf. »Ich wusste, dass sie versucht hat, mich zu erreichen, aber ich hatte leider keine Zeit für sie. Das finde ich wirklich schade, wenn man bedenkt, was dann passiert ist.«
Sie gucken mich mit neugierigem Blick an. Als ob sie versuchen würden, abzuschätzen, ob ich mit ihren Antworten zufrieden bin. Ob ich ihnen glaube.
Ich versuche sorgfältig zu vermeiden, etwas zu erkennen zu geben.
»Wo ist dein Mantel?«, fragt Angantýr schließlich und wendet sich seiner Tochter zu.
Wir fahren zusammen im Aufzug. Alle drei.
»Ich befürchte, dass dir unser Gespräch nicht viel gebracht hat«, sagt Jódís.
»Alle Informationen vervollkommnen das Bild.«
»Und zögere bitte nicht, mich anzurufen, wenn du weitere Fragen hast«, fügt sie hinzu. »Egal wann.«
Aber das automatische Lächeln erreicht nicht die Augen.
Der Fahrer öffnet den beiden die Türen der Ministerkalesche und braust dann mit den beiden im schwarzen Wagen in die Innenstadt.
Diese beiden scheinen alles zu haben, was die Welt zu bieten hat. Reichtum. Macht. Schönheit. Aber Glanzbilder machen mich immer misstrauisch. Die Wirklichkeit ist weder Glimmer noch Glasur. Außerdem fühlt sich Dreck unter einer aufpolierten Oberfläche am wohlsten.
»Die schrecklichsten Ungeheuer verstecken sich gerne in den idyllischsten Seen.«
Sagt Mama.
26
Siggi Palli verfolgt mich.
Aber nicht in eigener Person. Sondern sein Schatten.
Er hat mich einmal richtig hängen lassen. Trotzdem huschen immer noch irgendwo in der hintersten Ecke des Herzens Nachwehen alter Gefühle herum, die sich nicht damit
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