Der Fangschuss
immerhin bewies, daß ich nicht ihren Tod wünschte. Inmitten solcher Qualen ärgerte es mich, daß ich immer wieder jene bewundernswerte Hoffnung in ihren Augen aufleuchten sah, jenes unerschütterliche Bewußtsein ihres Rechts, das eine Frau nie, auch nicht unter Martern, aufgibt. Eine so rührende Unfähigkeit zum Verzweifeln rechtfertigt den katholischen Glauben an ein Purgatorium, das die halbwegs unschuldigen Seelen vor der Hölle rettet. Von uns beiden würde man nur sie bedauert haben. Sie hatte die bessere Rolle.
Die furchtbare Einsamkeit einer unglücklich liebenden Seele wurde für sie dadurch noch unerträglicher, daß sie anders dachte als wir alle. Sophie sympathisierte kaum versteckt mit den Roten. Für ein Herz wie das ihre war es offenbar der Gipfel der Ritterlichkeit, dem Feinde recht zu geben. Da sie es gewohnt war, gegen sich zu denken, fiel es ihr vielleicht ebenso leicht, den Gegner zu rechtfertigen wie mich freizusprechen. Diese Art zu denken stammte aus Sophies jungen Tagen; und Konrad hätte sie gewiß geteilt, wenn er nicht stets und unbesehen meine Ansichten übernommen hätte. Jener Oktober war einer der allerschlimmsten Monate des Bürgerkrieges. Der General von Wirtz, der sich im Innern der baltischen Provinzen verschanzte, hatte uns so gut wie aufgegeben, so daß wir uns wie Schiffbrüchige im Büro des Verwalters von Kratovice zusammenfanden und über unsere Lage berieten. Sophie, den Rücken gegen die Tür gelehnt, pflegte diesen Beratungen beizuwohnen. Offenbar kämpfte sie innerlich darum, sich ein gewisses Gleichgewicht zu bewahren zwischen ihren Überzeugungen – die schließlich ihren einzigen persönlichen Besitz darstellten – und der Kameradschaft mit uns, die sie nicht aufgeben wollte. Sie wird sich wohl mehr als einmal gewünscht haben, daß eine Bombe unseren Generalstabspalavern ein Ende machen möge, und ihr Wunsch wäre ihr mehrmals um ein Haar erfüllt worden. Sie war übrigens so wenig empfindlich, daß sie es ohne Protest geschehen ließ, daß rote Gefangene unter ihren Fenstern erschossen wurden. Ich fühlte, wie jeder einzelne Beschluß, der in ihrer Gegenwart gefaßt wurde, einen Ausbruch von Haß in ihrem Innern hervorrief, während sie andererseits zu praktischen Einzelfragen mit dem gesunden Verstand einer Bäuerin Stellung nahm. Waren wir allein, so stritten wir über die Folgen dieses Krieges und über die Zukunft des Marxismus mit einer Heftigkeit, die sich zum Teil aus dem beiderseitigen Bedürfnis nach einem Alibi erklärte. Sie verheimlichte ihre Sympathien nicht vor mir; sie waren das einzige, was von ihrer Leidenschaft unberührt geblieben war. Neugierig zu sehen, wie weit bei Sophie eine Niedrigkeit gehen würde, die durch ihre Verliebtheit etwas Grandioses bekam, versuchte ich mehrmals, das junge Mädchen mit ihren eigenen Grundsätzen oder vielmehr mit den ihr von Loew eingeimpften Ideen in Widerspruch zu bringen. Es gelang mir weniger leicht, als man hätte glauben können. Sie protestierte voll Empörung. Sie hatte ein seltsames Bedürfnis, alles zu hassen, was zu mir gehörte, außer mich selber. Ihr Vertrauen zu mir blieb aber deshalb nicht weniger unbedingt und verleitete sie, mir einige kompromittierende Zugeständnisse zu machen, die sie keinem anderen gemacht haben würde. Eines Tages gelang es mir, sie dazu zu bringen, eine Ladung Munition auf ihrem Rücken bis in die vorderste Linie zu tragen. Sie ergriff gierig diese Gelegenheit zu sterben. Andererseits hat sie nie einen Schuß in unseren Reihen abgeben wollen. Das war schade, denn sie hatte mit sechzehn Jahren auf den Treibjagden eine erstaunlich sichere Hand bewiesen.
Sie suchte sich Nebenbuhlerinnen. Bei diesen Verhören, die mich jedesmal aufbrachten, sprach vielleicht weniger die Eifersucht aus ihr als die Neugier. Wie ein Kranker, der fühlt, daß er verloren ist, verlangte sie keine Heilmittel mehr, wohl aber Erklärungen. Sie wünschte Namen, die ich unvorsichtigerweise nicht erfand. Eines Tages versicherte sie mir, daß sie mühelos verzichtet haben würde, wenn es sich um eine von mir geliebte Frau gehandelt hätte. Sie kannte sich schlecht; denn hätte es diese Frau gegeben, so würde Sophie sie meiner für unwürdig erklärt und außerdem versucht haben, uns zu trennen. Die romantische Hypothese: ich hätte eine Mätresse in Deutschland zurückgelassen, würde nichts an unserer täglichen Intimität noch an unserem nächtlichen Zusammensein geändert haben. Andererseits
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