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Der Fangschuss

Der Fangschuss

Titel: Der Fangschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marguerite Yourcenar
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konnte ein etwaiger Verdacht sich bei unserem zurückgezogenen Leben nur auf zwei oder drei Wesen richten, deren Gunstbezeugungen nichts erklärt hätten und niemanden zufriedenstellen konnten. Sophie machte mir sinnlose Szenen wegen einer rothaarigen Bauerndirne, die für uns das Brot backte. Eines Abends war ich so brutal, Sophie zu sagen, daß ich, wenn es mich nach einer Frau verlangt hätte, an sie selber zuallerletzt gedacht haben würde. Das war die reine Wahrheit; und doch fehlte es Sophie gewiß nicht an Schönheit. Sie war Frau genug, um nur daran zu denken. Sie schwankte wie ein Straßenmädchen unter dem brutalen Faustschlag eines Betrunkenen, lief aus dem Zimmer und stürzte, sich an der Rampe festhaltend, die Treppe hinauf. Ich hörte ihr Schluchzen und ihre stolpernden Schritte.
    Sie wird die Nacht vor dem weiß eingerahmten Spiegel ihres Jungmädchenzimmers zugebracht und sich immer wieder prüfend gefragt haben, ob ihr Gesicht, ob ihr Körper wirklich nur einen angeheiterten Sergeanten verführen konnten und ob ihr Haar, ihr Mund und ihre Augen denn wirklich gar keine Gegenliebe verdienten. Der Spiegel zeigte ihr die Augen eines Kindes und eines Engels, ein breites, etwas formloses Gesicht – ein blühendes Stück Frühlingserde –, von stillen Tränen überströmte Wangen aus Sonne und Schnee, einen Mund, dessen Röte fast erschreckend schön war, und blonde Haare – so blond wie das gute Bauernbrot, das es nicht mehr gab. Es grauste sie vor all diesen Dingen, die sie so im Stich ließen und ihr nichts, gar nichts halfen bei dem geliebten Mann. Verzweifelt verglich sie sich mit Pearl White und der russischen Kaiserin, deren Photographien an der Wand hingen, und weinte, bis es hell wurde, ohne daß sie es fertiggebracht hätte, das Leuchten ihrer zwanzigjährigen Augen zu trüben. Am nächsten Tag bemerkte ich, daß sie in der Nacht nicht die Lockenwickel getragen hatte, mit denen sie manchmal bei nächtlichen Alarmen erschien und dann einer schlangengekrönten Meduse glich. Sie hatte sich ein für allemal mit ihrer Häßlichkeit abgefunden und war heroisch entschlossen, mit glattem Haar vor mir zu erscheinen. Ich lobte ihre glatte Frisur, worauf sie, wie ich es vorausgesehen hatte, wieder Mut faßte. Sie blieb ein wenig beunruhigt wegen ihres angeblichen Mangels an Anmut, was ihr jedoch eine neue Art von Selbstsicherheit gab, als dürfe sie nunmehr, seit sie es aufgegeben habe, durch Schönheit auf mich zu wirken, um so nachdrücklicher meine Freundschaft beanspruchen.

    Ich war nach Riga gefahren, um die Einzelheiten der nächsten Offensive zu besprechen, und hatte in dem aus amerikanischen Lustspielfilmen bekannten wackligen Fordwagen zwei Kameraden mitgenommen. Kratovice sollte Operationsbasis werden. Konrad war dort geblieben und traf die nötigen Vorbereitungen mit jenem nachlässigen Eifer, der seine Spezialität war und außerdem unseren Leuten das Gefühl der Sicherheit gab. Wenn unsere sämtlichen Zukunftserwartungen sich erfüllt hätten, so wäre er der bewundernswerte Adjutant eines Bonaparte geworden, der ich selber nicht geworden bin – einer von jenen idealen Schülern, ohne die der Meister nicht zu erklären ist. Zwei Stunden lang rutschten wir auf den vereisten Straßen von einer Seite zur andern und setzten uns allen Möglichkeiten eines plötzlichen Todes aus, die ein Autofahrer riskiert, der seine Weihnachtsferien in der Schweiz verbringt. Ich war erbittert über die Wendung, die sowohl der Krieg wie mein privates Leben zu nehmen drohten. Die Teilnahme an dem antibolschewistischen Feldzug in Kurland bedeutete nicht nur Todesgefahr; es kam hinzu, daß die ewigen Abrechnungen, die Kranken, der Telegraph und die drückende oder duckmäuserische Gegenwart unserer Kameraden nach und nach mein Verhältnis zu Konrad trübten. Menschliche Zärtlichkeit verlangt, zumal in Zeiten der Unsicherheit, ein gewisses Maß von Stille und Einsamkeit. In einer Mannschaftsstube und zwischen zwei Abkommandierungen zu irgendwelchen dreckigen Arbeiten kommen Liebe und Freundschaft notgedrungen zu kurz. Das Leben in Kratovice war für mich wider alles Erwarten eine einzige ständige Dreckarbeit geworden. Sophie allein ertrug diese niederdrückende und tödlich langweilige Atmosphäre mit vorbildlicher Haltung, wie denn das Unglück Plagen besser erträgt als das Glück. Aber gerade um Sophie zu entfliehen, hatte ich mich nach Riga schicken lassen. Die novembertrübe Stadt war düsterer denn je. Ich

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