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Der Fangschuss

Der Fangschuss

Titel: Der Fangschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marguerite Yourcenar
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Praskovia herrührten. Sie ging immer noch Tag und Nacht in ihrem Zimmer auf und ab und murmelte Gebete, denen sie unsere bisherige Rettung zuschrieb. Sah man Bruder und Schwester nebeneinander, so entsprach merkwürdigerweise Konrad am meisten der Vorstellung, die man sich von einem jungen Mädchen aus fürstlichem Hause macht. Sophies sonnenverbrannter Nacken und ihre rissigen Hände, mit denen sie den Schwamm ausdrückte, hatten mich plötzlich an den jungen Stallknecht Karl erinnert, der in unserer Kindheit unsere Ponys striegelte. Neben meiner eingefetteten, gepuderten und zurechtgemachten Ungarin erschien sie zugleich ungepflegt und unvergleichlich.
    Die Reise nach Riga kränkte Sophie, ohne sie zu überraschen. Zum erstenmal hatte ich mich so benommen, wie sie es erwartete, was unser gutes Einvernehmen nicht beeinträchtigte, sondern eher noch steigerte. Eine so vage Beziehung wie die unsere ist übrigens fast immer unzerstörbar. Wir waren einander gegenüber von einer zügellosen Offenheit. Man darf dabei nicht vergessen, daß es damals Mode war, die rückhaltlose Ehrlichkeit höher zu schätzen als alles andere. Statt von Liebe zu sprechen, sprachen wir über Liebe und täuschten uns mit Worten über eine innere Unruhe hinweg, die ein anderer durch Taten beseitigt haben würde und der wir uns in unserer Lage nicht durch Flucht entziehen konnten. Sophie sprach ohne die geringste Hemmung von ihrem einzigen Liebeserlebnis, ohne jedoch zu erwähnen, daß es unfreiwillig gewesen war. Ich meinerseits verbarg ebenfalls nichts – außer dem Wesentlichen. Jenes kleine Mädchen mit den zusammengezogenen Brauen hörte sich meine Weibergeschichten mit einer benahe grotesken Aufmerksamkeit an. Ich glaube, daß sie nur deswegen begann, sich Liebhaber zuzulegen, weil sie auf mich ebenso verführerisch wirken wollte, wie es ihrer Meinung nach gefallene Mädchen taten. Der Unterschied zwischen völliger Unschuld und völliger Erniedrigung ist so gering, daß sie sogleich bei ihrem ersten Versuch jenen Grad gewollter Niedrigkeit erreichte, durch den sie mich zu verführen dachte. Ich erlebte, wie sich vor meinen Augen eine Veränderung mit ihr vollzog, die weit erstaunlicher war als irgendeine Theaterszene und doch zugleich um keinen Grad weniger konventionell. Anfangs waren es rührende Kleinigkeiten, die ihrer Naivität entsprangen. Es gelang ihr, sich Puder zu besorgen, und sie entdeckte die Seidenstrümpfe. Ihre mit Schwarz untermalten, ohnedies schon dunkel umränderten Augen sowie ihre vorspringenden, geröteten Backen verleideten mir dieses Gesicht nicht mehr, als es die Narben meiner eigenen Schläge getan hätten. Die Jungens, und unter ihnen vor allem Franz von Aland, versuchten diesen großen Schmetterling einzufangen, der vor ihren Augen von einer unbegreiflichen inneren Flamme verzehrt wurde. Ich selber fand Sophie verführerischer, seit sie auch anderen gefiel. Meine Zurückhaltung erklärte ich mir irrtümlicherweise aus einer übertriebenen Gewissenhaftigkeit und bedauerte, daß Sophie ausgerechnet die Schwester des einzigen Menschen war, an den ich mich durch eine Art Pakt gebunden fühlte. Dennoch hätte ich sie wohl kaum beachtet, wenn ich nicht gespürt hätte, daß es ihr im Grunde nur um mich ging.

    Der Instinkt der Frauen ist so beschränkt, daß man leicht für sie den Astrologen spielen kann. Dieses Mädchen, das ein mißglückter Junge war, folgte den ausgetretenen Spuren der tragischen Heroinen: sie betäubte sich, um zu vergessen. Die Plaudereien, das Lächeln, das wilde Tanzen zu den Melodien eines quietschenden Grammophons, die gefährlichen Spaziergänge dicht hinter der Feuerlinie – alles begann aufs neue; und die Jungem wußten es besser auszunutzen als ich. Franz von Aland zog als erster seinen Vorteil aus dieser Phase, die bei verliebten und unbefriedigten Frauen ebenso unvermeidlich eintritt wie die Schüttelperiode bei Paralytikern. Er war in Sophie fast ebenso sklavisch verliebt wie sie in mich und war mit Freuden einverstanden, als Notbehelf verbraucht zu werden, was nebenbei seine kühnsten Erwartungen übertraf. War Franz mit mir allein, so schien es ständig, als überlege er sich im voraus die faden Entschuldigungen eines Schützen, der auf fremdes Jagdgebiet geraten ist. Offenbar rächte Sophie sich an ihm, an mir und an sich selber, indem sie ihm unermüdlich von unserer Liebe erzählte. Franzens bestürzte Unterwürfigkeit war nicht gerade dazu angetan, mich mit der

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