Der Favorit der Zarin
aufbringen, gegen den Favoriten höchstpersönlich vorzugehen?
»Wir saßen in der Kutsche, Frau Chawronskaja und ich. Da überfiel uns ein schrecklicher Mensch, der die Diener tötete und Pawlina Anikitischna gefangen nahm. Er tat dies auf Befehl einer bedeutenden Person, die von lüsternem Wahnsinn besessen ist. . .«
So, ohne auf überflüssige Einzelheiten einzugehen, erzählte er alles.
Daniel hörte zu und bekam ein immer finstereres Gesicht. Zuerst saß er da, dann sprang er auf und wanderte in der Stube hin und her.
Mitja endete mit den Worten:
»Wir müssen ins Dorf rennen und Unterstützung holen. Am besten wären Soldaten. Es sind fünf Banditen, alle bewaffnet. Wir müssen zum Kreisrichter.«
Der Hausherr zupfte wütend an seinem grauen Bart.
»Der Kreisrichter ist in Wischera, bis dahin sind es zwanzig Werst. Und ich kenne ihn: ein Dummkopf, der nichts unternehmen wird. Wir brauchen keine Hilfe. In der Nacht kommen die nicht von hier weg, und vor dem Morgengrauen gehen wir an die Straße und sehen uns diesen Pikin einmal an. Wir werden mit dieser Angelegenheit schon alleine fertig.«
Mitja dachte sich seinen Teil. Ein Greis und ein Kind, was sollten die schon ausrichten können!
»Gnädiger Herr, Ihr seid doch nicht der Ritter Lanzelot, sondern Arzt!«, versuchte er den waghalsigen Greis zur Vernunft zu bringen.
Aber der stampfte nur auf und sagte wütend:
»Dmitri Karpow, Ihr habt mich mit Eurer Geschichte erzürnt. Ich sehe, während ich mich im Wald vor den Menschen in Sicherheit gebracht habe, ist das Leben noch niederträchtiger als vorher geworden, und ich konnte Niedertracht nie ausstehen. Ihr habt Recht, ich bin eigentlich ein friedliebender und ruhiger Mann und von Beruf Arzt, aber ich schwöre Euch bei dem Verstand (und Ihr könnt mir glauben, denn Daniel Vondorin lügt nie): Der Zorn eines Arztes, das ist etwas sehr viel Gefährlicheres, als manche denken.«
ELFTES KAPITEL
THE INVISIBLE MAN oder
DER UNSICHTBARE
(Weils, 1897)
»Chef, haben Sie noch alle? Oder soll ich einen Arzt rufen?« Valja zog Nicholas in die andere Richtung. »Was denn für eine U-Bahn? Sie haben nicht mehr alle Tassen im Schrank. Erstens ist jetzt tiefste Mitternacht, und zweitens: Wir sind doch mit Ihrem Panzerwagen hergekommen.«
Sie liefen zu dem um die Ecke geparkten Auto, stiegen ein, kamen aber nicht weit.
Wie sich herausstellte, waren die Türsteher des Nachtklubs nicht auf den Kopf gefallen: Sie hatten nicht nur die Miliz gerufen, sondern sie hatten sich auch gemerkt, mit was für einem Wagen der lange Lulatsch und seine aparte Begleiterin gekommen waren. Sie hatten sie sich schon ausgeguckt, als Fandorin noch vor dem Klub parken wollte, es sich dann aber aus irgendeinem Grund anders überlegte und ein Stückchen weiter fuhr. Ein Wagen des Überfallkommandos war in der Nähe. Sage und schreibe eine Minute, nachdem Nicholas sich ans Steuer gesetzt hatte, und fünfzehn Sekunden, nachdem der Shiguli beim dritten Startversuch angesprungen war, versperrte ihm ein Milizauto den Weg.
»Hast du die Pistole weggeworfen?«, fragte Fandorin nervös, während er ausstieg und in seiner Tasche nach dem Ausweis suchte.
Ach, wie blöd! Jetzt würde er lange Erklärungen abgeben müssen. Und die Banditen würden in der Zwischenzeit zu sich kommen und schnell schalten. Wenn du aus dem Revier kommst, erwarten sie dich bestimmt schon ungeduldig.
»Nimm die Pfoten raus, ich leg dich um!«, wurde der Magister aus der Dunkelheit wütend angebrüllt.
Der Verschluss der Maschinenpistole klickte, und Nicholas riss erschreckt die Arme hoch. Man hielt sie natürlich für Mafiosi, die sich nach einer Klärung interner Angelegenheiten aus dem Staub machen wollten. Man würde sie durchlöchern und hätte nicht einmal Unrecht.
»Die Pfoten auf die Motorhaube, du Wichser!«
Er stützte sich mit den Händen auf dem kalten Metall ab. Valja stellte sich neben ihn.
»Hast du irgendeinen Ausweis mit?«, flüsterte Fandorin.
Valja antwortete nicht. Sie blinzelte ins Licht der Scheinwerfer und guckte über ihre Schulter nach hinten. In der Tat, selbst wenn sie ihn hätte, was für einen Sinn sollte jetzt ein Ausweis haben? Da stünde »Valentin Sergejewitsch Glen«. Und dann würde der Affenzirkus losgehen.
»Pardon, Chef, ich katapultiere mich von hinnen«, flüsterte der Mensch der Zukunft.
Leichtfüßig, aus dem Stand, hüpfte Valja auf die Motorhaube, sprang an der anderen Seite des Shigulis ab und stürzte aus dem
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