Der Favorit der Zarin
schön weg, aber dalli«, sagte der neben ihm sitzende Sergeant.
»Ein Anruf – darauf habe ich ein Recht.«
»Du kannst es gleich von rechts wie von links haben«, drohte der Gesetzesdiener.
Das war offene, grobe Willkür. Unter anderen Umständen hätte Fandorin darauf bestanden, nur nicht jetzt, nicht jetzt. . .
»Herr Leutnant«, sagte er und beugte sich nach vorn zu dem Offizier. »Ich zahle Ihnen die Geldstrafe doch schon jetzt. Unter der Bedingung, dass Sie mir erlauben anzurufen.«
Der überlegte und schniefte.
»Okay. Schieb hundert Bucks rüber und ruf an.«
»Tausend Rubel«, sagte Fandorin mit gesenkter Stimme. »Mehr hab ich nicht.«
»Schieb rüber.«
Der Leutnant wäre wohl auch mit fünfhundert einverstanden gewesen, aber gut, das war jetzt nicht so wichtig.
Während er die Nummer wählte, hatte er am meisten Angst davor, die Ansage zu hören: »Der Teilnehmer ist vorübergehend nicht erreichbar.« Es war immerhin zwei Uhr nachts. Er flüsterte sogar: »Guter Gott, guter Gott!«
»Hallihallo«, meldete sich Wolf mit nicht die Spur schläfriger, sondern putzmunterer Stimme.
»Hier Fandorin. Ich habe Neuigkeiten. Dringende. Ich . . .«
»Wo sind Sie?«, unterbrach ihn der Hauptmann.
»In einem Milizauto. Man hat mich verhaftet. . .«
»Nicht verhaftet, sondern festgenommen«, korrigierte ihn der Leiter der Gruppe.
»Ich bin festgenommen worden. Von Milizionären. Sie bringen mich aufs Revier.«
»Auf welches?«, fragte der Fahnder.
Man musste es ihm lassen, für jemand, der mitten in der Nacht geweckt worden war, schaltete er erstaunlich schnell und stellte auch nur die nötigsten Fragen.
Fandorin warf einen Blick in die steinernen Gesichter der Männer, die um ihn herum saßen. Besser nicht fragen.
»Weiß ich nicht. Ich bin in der Nähe von Ochotny Rjad.«
»Alles klar. Ich komme gleich.«
Im Hörer tutete es.
Während sie das Protokoll aufnahmen und den Festgenommenen »durch das zentrale Adressbüro der Moskauer Miliz und das regionale Infozentrum« (was das war, blieb Nicholas schleierhaft) überprüfen ließen, saß er im so genannten »Affenkäfig«: einem vergitterten Loch. Auf dem Boden schliefen zwei verdreckte Männer und eine Dame, die noch weniger appetitlich aussah. Hinter dem Affenkäfig waren zwei Türen mit kleinen Gucklöchern. Den Stimmen nach zu schließen, befanden sich dort ebenfalls Verhaftete, offenbar Gesetzesbrecher von anderem Kaliber als der Rowdy N. A. Fandorin und seine Zellengenossen.
Eigentlich saß der Magister gar nicht wirklich, sondern ging auf und ab. Das lag noch nicht einmal daran, dass man sich nirgends hinsetzen konnte – seine Zellengenossen hatten es sich ja schließlich richtig gemütlich auf dem Boden eingerichtet. Wichtiger war, dass seine zum Zerreißen gespannten Nerven keine Unbeweglichkeit vertrugen, sondern nach motorischer Abfuhr verlangten.
Von einer Ecke in die andere tigernd, legte Nicholas so eine Strecke zurück, die länger war als die Twerskaja Uliza. Wolf tauchte endlich auf, als der müde Magister sich schon virtuell der Uliza Prawdy, wenn nicht sogar schon dem Stadion »Dynamo« näherte.
Die Freilassung ging erstaunlich einfach vonstatten, ohne irgendwelche Formalitäten. Wolf tuschelte mit dem Aufseher, und sofort erhielt Fandorin die bei der Festnahme einbehaltenen Gegenstände zurück: Handy, Ausweise, Schlüssel, Brieftasche und Metallkamm.
»Wo kann man sich hier unter vier Augen unterhalten?«, fragte Wolf.
»Wo du willst, die Büros sind alle frei«, antwortete der Aufseher. »Hier hast du die Schlüssel vom Vizepersonalchef. Da sind weiche Sessel.«
Sie gingen in den zweiten Stock, in das Zimmer mit dem Schildchen »Stellvertretender Leiter der Personalabteilung«. Sie setzten sich in die abgewetzten Ledersessel, die vermutlich noch aus den sowjetischen Zeiten des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten stammten.
»Na?«, fragte der Hauptmann und holte seine Zigaretten heraus. »Reden wir jetzt Tacheles?«
»Okay, reden wir Tacheles.« Nicholas rieb sich wütend die pulsierende Schläfe, um seine Kopfschmerzen loszuwerden – die hatten ihm jetzt gerade noch gefehlt. »Sagen Sie, Hauptmann, wie hoch ist Ihr Gehalt?«
Wolf wunderte sich überhaupt nicht über die Frage.
»Zweitausendachthundert. Und?«
Dafür wunderte sich Fandorin aber. Ein Fahnder bei der Kriminalpolizei, ein Mann, der einen gesellschaftlich bedeutsamen und dazu auch noch gefährlichen Beruf ausübt, soll weniger als
Weitere Kostenlose Bücher