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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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in den Moskauer Wäldern herumlungern. Sie sind schon seit langem, weiß Gott, wie viele Generationen es her ist, verwildert und greifen ohne weiteres Rentiere, Elche und manchmal auch Menschen an.
    Vor Schreck bereute Nicholas, dass er die Pistole weggeworfen hatte, schämte sich aber gleich wieder. Sollte er jetzt keinen Schritt mehr ohne Pistole tun? Sollte er jetzt, sobald er ein Problem hätte, schießen und alle Probleme mit Waffengewalt lösen? Nach dem Motto: Wenn du einen Menschen getötet hast, dann kannst du jetzt auch die Hunde abknallen! Aber können die denn etwas dafür, dass die Menschen sie oder ihre Vorfahren aus dem Haus gejagt haben? Als ob du diesen Teddy mit der quadratischen Schnauze erschießen könntest! Oder vielleicht diese rote Missgeburt mit der Schnauze eines Collies und den kurzen Beinen eines Dackels?
    Er wich nach hinten zurück, aber nicht zu schnell, damit es nicht wie eine Flucht aussah. Die Hunde folgten ihm mit den Augen, wurden jedoch noch nicht aggressiv.
    Fandorin trat hinter einen Baum, drehte sich um und rannte, so schnell er konnte.
    Er lief, bis sich die nass gewordene Sohle an seinem Pantoffel löste. Irgendwie befestigte er sie wieder. Er setzte sich auf einen gefällten Baum und analysierte die Situation.
    Schließlich war hier nicht die Taiga. Wie groß kann ein Waldgebiet in der Umgebung von Moskau sein? Höchstens ein paar Quadratkilometer.
    Er war einfach in Panik geraten und ohne Sinn und Verstand durch die Gegend gelaufen.
    Was sagt der Experte für kluge Ratschläge seinen Klienten in einem solchen Fall? Als Erstes muss man die Ursache des Stresses finden.
    Sie liegt klar zutage, antwortete Nicholas Fandorin in Gedanken dem Experten. Ich habe einen Mord begangen. Es ist mir schon einmal passiert, dass ich auf einen Menschen geschossen habe, doch damals ist es Gott sei Dank gut gegangen. Aber diesmal nicht. Der sommersprossige Junge, der aussah, als wäre er fünfundzwanzig, ist tot. Seine Mutter ist neun Monate mit ihm schwanger gegangen, dann wuchs er langsam heran, entdeckte die Welt, träumte von etwas, und all das habe ich zunichte gemacht. Egal, wie schlecht dir einer vorkommt, du darfst ihn nicht umbringen, weil jeder Mensch ein eigenes Weltall ist. Und jeder Mensch (oder fast jeder) wird von irgendjemand geliebt, er ist für jemand das Licht, ohne das sein Leben kein Leben ist.
    Der Ratgeber war zum Wesen des Problems vorgedrungen und nickte traurig.
    Ja, du hast jemand umgebracht, aber nicht kaltblütig, nachdem du Für und Wider abgewogen hast, sondern du bist deinem Instinkt gefolgt, der dem Menschen befiehlt, sich selbst und seine Freunde zu beschützen. Gut, der rothaarige Bandit ist ein Weltall. Und Valja? Wird er oder war es nun sie, egal, wird er von niemand geliebt? Und dann, du selbst. Du bist ja auch ein Weltall, und zu diesem Weltall gehören außer dir noch deine Frau, eine Tochter und ein Sohn. Oder willst du alle Menschen gleich lieben wie Christus, dann halt auch die linke Wange hin und widersetz dich nicht der Gewalt, opfere dich auf und all so was, nur schaff dir keine Familie und keine Freunde an. Wenn du das aber getan hast, dann musst du sie und dich auch schützen. Selbst wenn du dafür jemand umbringen musst.
    Das war ein dermaßen blutrünstiger Rat, dass Fandorin ganz schlecht wurde.
    Aber seine Seele hatte sich auf wunderbare Weise von der Panik befreit und überließ nun dem Verstand das Terrain: Jetzt bist du dran, denk mal schön.
    Und da stellte sich heraus, dass er sich den Kopf gar nicht sonderlich zu zerbrechen brauchte. Er musste einfach möglichst geradeaus gehen, bis er auf einen Weg oder Pfad stieß; der würde ihn dann schon aus dem Wald bringen.
    Das Herumirren im Wald endete erst bei völliger Dunkelheit. Zweimal nahm Fandorin den falschen Weg: erst einen schmalen Waldweg, der sich endlos schlängelte und sich schließlich in mehrere kleine Pfade teilte; dann kam er auf eine durchaus ernstzunehmende, ja sogar asphaltierte Straße, die zu einer Steinmauer und einem geschlossenen Tor ohne irgendein Aushängeschild führte. Erst mit dem dritten Versuch gelangte er, vor Kälte erstarrt und mit nassen Füßen, dahin, wohin er wollte. Ein auf den ersten Blick unauffälliger Pfad brachte ihn direkt zu einer Landstraße, die Nicholas entlanglief, bis er zu einer Siedlung kam. Noch ehe er auf die ersten Häuser stieß, hörte er in der Ferne einen Zug vorbeidonnern. Uff! Da war also auch der Bahnhof.
    Bevor er die erste

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