Der Favorit der Zarin
entlädt? Die Luft ist mit Elektrizität gesättigt, irgendwo am Horizont poltert das Donnergeröll, aber der Sturm will und will nicht kommen. Da wünscht man ihn sich herbei.
Die ganzen Tage hatte Jeanne kein einziges Mal angerufen. Das Telefon, das sie ihm gegeben hatte, schwieg, aber Nicki vergaß es nicht eine einzige Sekunde, sondern rechnete damit, dass das verfluchte Gerät jeden Augenblick klingeln könnte – so wie ein echter Samurai in der ständigen Gewissheit eines plötzlichen Todes lebt.
Als er sich im Salon unter die trinkenden, lachenden und einander küssenden Stars mischte, wurde der Magister noch niedergeschlagener – er fühlte sich, als habe es ihn per Zufall auf die Umschlagseite der Hochglanzzeitschrift »Sieben Tage« verschlagen.
Er floh in den Korridor, um sich über den Seitenflur in seine »Partamenty« zurückzuziehen. Doch da stieß er ausgerechnet auf die beiden Kuzenkos. Sie standen mit dem Rücken zur Tür, hatten aber nicht gehört, wie der Gouverneur sich näherte, denn Nicholas war bemüht, möglichst leise aufzutreten. Unfreiwillig wurde er Zeuge einer kleinen Auseinandersetzung zwischen den beiden Gatten.
Inga Sergejewna sagte mit zärtlichem Vorwurf:
»Meine Güte, du bist doch nicht ganz bei Trost. Da hast du aber ein Objekt für deine Eifersucht gefunden. Vor wie vielen Jahren war das denn? Das ist, als wenn sich einer an den Mongolensturm erinnert! Ich wäre nie im Leben auf die Idee gekommen, Jasti sehen zu wollen. Von mir aus soll ihn der Teufel holen. Du hast ihn doch selber eingeladen, weil ihr etwas Geschäftliches zu besprechen habt.«
»Geschäfte sind ja gut und schön, aber sobald ich daran denke . . .«, murrte Mirat Leninowitsch leise.
Das Gespräch hatte eindeutig einen intimen Charakter, doch es war unklug zurückzuweichen – wenn seine Schuhsohlen knarrten, wäre das noch schlimmer. So machte Fandorin das Trivialste, was man sich denken kann: Er hustete.
Während Madame Kuzenko sich umdrehte, errötete, Nicholas gelassen anlächelte und die Treppe hinunterging, hustete der Hausherr seinerseits ebenfalls und hielt es für nötig, stehen zu bleiben – aus Verlegenheit wahrscheinlich.
In so einer Situation gibt es nur einen Ausweg: Man muss das Gespräch auf ein ungefährliches, neutrales Thema bringen. Durch die offene Tür auf die Prominenten der Hauptstadt blickend, sagte Fandorin:
»Nicht umsonst gelten die Russinnen als die schönsten Frauen. Man braucht ihnen nur ein paar Jahre Freiheit und Reichtum zu geben, schon stehen unsere Salonlöwinnen in nichts den Londonerinnen oder Pariserinnen nach. Schauen Sie mal, das ist ja direkt wie ein Schönheitswettbewerb um den Titel › Miss Universum«.«
»Eher Missis Universum«, witzelte Kuzenko höhnisch. »Die Weiber unserer Politiker und reichen Holzköpfe werden in den letzten Jahren zunehmend jünger und schöner, das stimmt. Aber das liegt nicht an den Genen, sondern an diesen Händen.« Und er zeigte seine wunderbaren Finger vor und lachte. »Drei Viertel der Damen, die Sie hier sehen, sind durch meinen Operationssaal gegangen. Und jedes Jahr nehme ich wieder eine Korrektur an ihnen vor. Das gehört zu meiner Methode dazu. Wenn eine meiner Lollobrigidas zu spät zur Prophylaxe kommt, dann schrumpelt sie in Nullkommanichts zu einem Kürbis. Was soll man da machen – Schönheit braucht eben eine qualifizierte Wartung.«
Nicholas fiel ein, wie Mirat Leninowitsch die Frau des Regisseurs an einen »TÜV« erinnert hatte. Das war also damit gemeint!
»Wie schaffen Sie das denn alles? Ein Business betreiben, operieren und dann auch noch die Prophylaxe?«
»Auf Kosten von Schlaf und Freizeit. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal ordentlich gegessen habe – das heißt, ohne mich zu beeilen und mit Genuss. Aber was soll ich denn machen? Assistenten in meine Methode einweihen? Die haben es jetzt faustdick hinter den Ohren – die eröffnen doch sofort eine Klinik und fangen an, mir Konkurrenz zu machen. Es hat schon Präzedenzfälle gegeben. Und außerdem sind meine Klientinnen etwas Besonderes.« Er deutete mit dem Kopf Richtung Saal. »Mit denen muss man erst mal Kontakt haben.«
Was die finanziellen Perspektiven der Firma »Meeresfee Melusine« betrifft, so gibt es keinen Grund zur Sorge, dachte Nicholas. Der Wunderdoktor wird auch in Zukunft keinen Mangel an Patientinnen haben, und was das Geld betrifft: Dieses Publikum scheut keine Ausgaben.
Plötzlich veränderte sich Mirat
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