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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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größer und reicher, die anderen aber kleiner und bescheidener waren, konnte von der üblichen russischen Armut keine Rede sein.
    »Ist das etwa ein Blumenbeet?«, fragte Mitja und zeigte auf eine kreisrunde Einfassung aus Ziegelsteinen vor einer der Hütten.
    »Tatsächlich!«, rief Vondorin nicht weniger erregt als Mitja aus. »Und erst die Fenster! Aus richtigem Glas! Das ist ja phantastisch! Ich war hier vor zwölf Jahren, als Miron gerade seinen Abschied von der Armee genommen und das Erbe angetreten hatte. Sonnenstadt ist nicht wiederzuerkennen! Guck mal hier!«, schrie er lauthals und zog seinen Weggefährten am Ärmel. »Hast du schon mal solche Dorfbewohner gesehen?«
    Eine Bauernfamilie ging auf der Straße: Vater, Mutter und drei Töchter. Sie hatten alle ganz neue, gediegene Sachen an, die Frau und die Mädchen trugen bunte Kopftücher.
    »Sieh mal einer an, unser Miron! Während wir geträumt und gestritten haben, hat der die Dinge angepackt. Ein toller Kerl, ein richtiger Held!«, schwärmte Daniel und konnte sich gar nicht wieder beruhigen.
    Die Kutsche war durch das Tor eines englischen Parks gefahren, der so angelegt war, dass er möglichst stark einem Werk der unberührten Natur gleichen sollte. Im Sommer mussten all diese Büsche, Wiesen, Hügel und kleinen Seen außerordentlich malerisch aussehen, aber das winterliche Schwarzweiß verlieh dem Park einen etwas strengen und verschlafenen Anstrich.
    Über den Baumwipfeln tauchte das Dach des Herrenhauses auf, das mit einem runden Türmchen verziert war, und gleich darauf war ein Kanonenschuss zu hören, der zahlreiche Vögel aufscheuchte.
    »Ein Kundschafter hat uns entdeckt«, erklärte Daniel und lächelte erfreut. »Das ist alte Moskauer Gastfreundschaft. Sobald man Gäste sieht, begrüßt man sie mit einem Schuss aus der Kanone. Auch in der Küche ist bestimmt schon der Teufel los! Pass auf, hier wird es dir sicherlich gefallen!«
    Mitja gefiel es jetzt schon.
    Das Haus war ein geräumiger, phantasievoller Bau: auf der einen Seite mit einer gläsernen Orangerie, auf der anderen mit einem Säulengang, voll gepackt mit frisch gestrichenem landwirtschaftlichem Gerät, von dem Mitja nur die englische zweispännige Sämaschine erkannte, die er auf einem Bild gesehen hatte.
    An der Haustür hatte sich das Gesinde in einer Reihe aufgestellt, ein Mann neben dem anderen, in blauen Uniformen, die denen der Husaren ähnelten. Zwei Männer kamen angelaufen, um die Tür der Schlittenkutsche aufzureißen, die anderen verbeugten sich, aber so ungezwungen, ohne Unterwürfigkeit, dass es eine Freude war, das zu sehen. Und die Treppenstufen kam schon ein untersetzter, kleiner Mann heruntergelaufen mit einem ungepuderten Lockenkopf und rotem Gesicht. Über dem Hemd trug er eine Lederschürze, und seine Arme waren von Überziehärmeln bedeckt, die voller Sägespäne waren.
    »Miron!«
    »Vondorin sprang in den Schnee und rannte dem Hausherrn entgegen. Auch dieser strahlte und breitete die Arme aus.
    Sie küssten sich dreimal, fielen sich ins Wort und lachten, und Ljubawin, dem die Umarmungen nicht reichten, klopfte dem Gast noch auf den Rücken und die Schultern.
    »Da hast du mir aber eine Freude gemacht! Das ist aber eine Überraschung, Daniel der Eingekerkerte!«, sagte Miron Antiochowitsch lachend und erklärte dem schönen Jüngling, der sich ihm zugesellte: »Das ist mein Klassenkamerad, Daniel Vondorin, der, von dem ich dir erzählt habe! Den Spitznamen › der Eingekerkerte« haben wir ihm gegeben, nachdem der Rektor ihn wegen Frechheit in den Karzer sperren ließ.«
    »Ja, Vater, das habt Ihr erzählt«, sagte der Jüngling lächelnd. »Ich habe viel von Euch gehört, Daniel Ilarionowitsch.«
    »Das ist mein Sohn Thomas«, stellte Ljubawin ihn vor. »Du hast ihn gesehen, als er noch in den Windeln war, schau mal, wie er in die Höhe geschossen ist, ein richtiger Grenadier. Ach, jetzt habe ich dich mit den Sägespänen schmutzig gemacht!«
    Er machte sich an Vondorins Kaftan zu schaffen und wollte ihn ausklopfen. Daniel lachte nur und fragte:
    »Bastelst du immer noch?«
    »Ja, ich habe eine Sache erfunden, die la révolution véritable in der Fleisch- und Milchwirtschaft auslösen wird. Aber ich kann sie noch nicht vorführen, da brauchst du gar nicht drum zu bitten. Sie ist noch nicht ganz fertig.«
    Daniel lachte.
    Da sah Miron Antiochowitsch den durch das Fenster der Kutsche spähenden Mitja.
    »Ach so, du bist also nicht allein, wie ich sehe?«
    Das

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