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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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falsch. ‹ Klarer kann man es nicht ausdrücken.«
    Sie betraten die Bibliothek, die aussah, als hätte dort vor kurzem ein Kampf oder ein Gelage stattgefunden. Auf dem Boden flogen Kleidungsstücke herum, darunter auch so delikate wie ein rotes Band und ein Seidenstrumpf. Das Lesepult war umgekippt, die Bücher waren heruntergefallen. Das Kanapee war von der Wand abgerückt, hing durch und ließ ein abgebrochenes Bein sehen. Mitja blickte Vondorin fragend an, aber der bemerkte die Unordnung nicht oder hielt sie nicht für beachtenswert. Das Band und den Strumpf steckte er sich in die Tasche, zog den zweiten Schuh an, nahm die Weste vom Globus und das Kamisol vom Sessel und erzählte die ganze Zeit weiter.
    »Der › Mitternachtsstern ‹ , den Miron Ljubawin und der Hausherr frequentierten, ist als eine seriöse Loge zu bezeichnen; Idioten und Faulenzer wurden dort nicht aufgenommen. Gerüchte behaupten, auch der Thronfolger sei Mitglied des › Sterns ‹ gewesen. Und da Seine Majestät am Hof als Aussätziger gilt, machten Leute, die es zu etwas bringen wollten, bewusst einen Bogen um die Mitglieder des › Mitternachtssterns ‹ . Die weitere Entwicklung kenne ich nicht, weil ich dann als Einsiedler im Wald lebte, aber man kann sie sich unschwer vorstellen.« Daniel versuchte, sich die Krawatte zu binden, aber das wollte ohne Spiegel nicht klappen – mal war der Knoten schief, mal hielt er nicht. »Ich nehme an, dass dein dich hassender Erzfeind im »Mitternachtsstern ‹ eins der obersten Ämter innehatte, die ihm Einblick in das Mitgliederverzeichnis gaben; er muss Magister, Prior oder Generalvisitator gewesen sein. Gleichzeitig war er auch Mitglied des Satanophagen-Ordens, des geheimsten von allen. Als der vorige Große Magier beschloss, Metastasio zu seinem Nachfolger zu ernennen (was den Verstorbenen in einem nicht besonders schmeichelhaften Licht erscheinen lässt), nahm der weitsichtige Italiener die tüchtigsten Mitglieder des › Mitternachtssterns ‹ mit zu den Satanskämpfern, was umso wichtiger war, da die Loge damals gerade geschlossen werden sollte. Die Satanskämpfer, die besonderen Wert auf Konspirativität legten und deshalb einem Großteil der Freimaurer unbekannt waren, lösten sich dagegen nicht auf, sondern füllten ganz im Gegenteil ihre Reihen mit Leuten wie Dolgoruki und Ljubawin auf.«
    »Ich verstehe trotzdem immer noch nicht, was diese Satanophagen eigentlich wollen.«
    »Sie sind von allen falschen Freimaurern die falschesten, weil sie einen gnadenlosen Krieg gegen den Teufel und dessen Helfershelfer propagieren.«
    »Und was ist daran schlecht?«, fragte Mitja verwundert.
    »Was soll denn gut daran sein, wenn man keine Gnade kennt? Wo kein Mitleid herrscht und man, ohne zu fackeln, zuschlägt, da hat der Teufel ein leichtes Spiel. Der gnadenlose Kämpfer gegen das Böse ist noch nicht wieder zu sich gekommen, da ist dieses schon auf seine Seite übergelaufen und treibt ihn an: schlag zu, nur zu, schlag zu. Ich habe eine traurige Entdeckung bei meinem Studium der Geschichte gemacht: Immer wenn sich gute, ehrliche, selbstlose Menschen zusammenschlossen und im Namen einer guten Sache Krieg führen wollten, stand garantiert bald der allerschlimmste Verbrecher als Oberbefehlshaber an ihrer Spitze. Der Krieg, das ist so eine Sache, bei der nie etwas Gutes herauskommt.« Vondorin riss an der Krawatte und warf sie auf den Boden; er hatte beschlossen, mit offenem Kragen herumzulaufen. »Aber das ist ja noch einzusehen. Ich kann etwas anderes nicht verstehen. Warum geben so viele kluge Leute liebend gern ihre Freiheit auf und ordnen sich freiwillig einer Macht unter, die sie als höhere Macht ansehen? Da erschafft sich so ein Miron Ljubawin einen Götzen, flößt sich selber den Glauben an dessen Unfehlbarkeit ein und ist für diesen guten Zweck › ohne den geringsten Zweifel ‹ bereit, den Sohn seines alten Freundes ins eisige Wasser zu werfen. Und der Grund und die Rechtfertigung für diese abscheuliche Brutalität ist ein von irgendjemand geschriebener Zettel mit dem Kappungszeichen.« Daniel schüttelte den Kopf. »Das ist etwas Entsetzliches: ein guter Zweck.«
    »Kappungszeichen. Was für ein seltsamer Name.«
    Vondorin nahm das rote Band und den Strumpf aus der Tasche. Er schwankte, was er damit machen sollte, legte den Strumpf aber schließlich auf den Stuhl; das Band presste er ans Gesicht und schnupperte daran; er zog es aus irgendeinem Grund vor, es zu behalten.
    »Ein alter

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