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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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aber eine Delikatesse ausgesucht. Iljitsch ist mindestens hundertzwanzig wert. Ich hoffe nur, dass ich ihm nicht an den Hals springe, wenn ich ihn morgen sehe . . . Aber lassen Sie uns zur Hauptsache kommen. Was meinen Sie, hält er sein Versprechen, oder bringt er sie in jedem Fall um?«
    Der Unternehmer hatte sich die ganze Zeit bemüht, seine Furcht zu überspielen, aber an dieser Stelle versagte ihm dann doch die Stimme.
    »Warum sollte er denn?«, schrie Nicholas erschüttert. »Wenn er sein Ziel erreicht hat!«
    »Sie verstehen das nicht. Es geht ja nicht nur um ein Geschäft, sondern auch um eine persönliche Sache. Jasti will mir die Luft abdrehen und hat jetzt die Möglichkeit dazu. Er entreißt mir nicht nur einen dicken Batzen. Er ruiniert auch meinen Ruf bei einem meiner wichtigsten Partner. Aber am liebsten würde er mir das Herz brechen . . .«
    Wieder musste Kuzenko erst einmal eine Pause machen.
    Nicholas war erstaunt über die Sentimentalität, die ihm bei einer solchen Respektsperson ganz fremd in den Ohren klang. Jeanne hatte von dem Motor gesprochen, von der Kraft, die jeden Menschen antreibt. Welchen Treibstoff brauchte der rasende Motor dieses Napoleons der medizinischen Industrie? Was, wenn Mirat Leninowitsch sein ganzes Leben lang, seit der fünften Klasse, nur diesem kleinen cleveren Jungen aus reichem Hause hinterherlief? Und der stopfte ihm immer das Maul mit dreckigem Löschpapier . . .
    »Gehen Sie ins Restaurant › Puschkin ‹ «, unterbrach der Direktor der Klinik »Die Meeresfee Melusine« Fandorins psychoanalytische Gedanken. »Ich will sichere Garantien, dass er Mira nicht umbringt.«
    Durch die Unterführung, vorbei an Buden, Zeitungs- und Blumenkiosken gelangte der Vermittler auf die andere Seite des Platzes, zum Restaurant »Puschkin«, wo der Führungsstab der Gegenseite Quartier bezogen hatte.
    Jastykow und sein Sicherheitspersonal hatten den ganzen zweiten Stock belegt. Alle zehn Bodyguards hatten einen weißen Cappuccino vor sich stehen, den sie nicht angerührt hatten, während Oleg Stanislawowitsch und Jeanne mit großem Appetit Austern und Gänseleberpastete zum Frühstück verzehrten.
    Vielleicht hat Kuzenko ja Recht, dachte Nicholas, als er das prächtige Interieur betrachtete. Der Kontrast zwischen dem billigen Cafe und dem protzigen Restaurant war bestimmt kein Zufall – Jasti feierte seinen Sieg mit Genuss. Selbst in diesem Punkt war er bemüht, seine Überlegenheit zur Schau zu stellen.
    »Na?«, fragte Jeanne, während sie sich die von der Gänseleberpastete fettigen Lippen mit der Serviette abwischte, »wie war die Elternversammlung ? «
    »Er will Garantien haben«, sagte Fandorin.
    Und wieder musste er in den schummerigen Saal des Hauses »Kaffee Tun«. Ein einzelner dampfender Espresso vor Mirat Leninowitsch, laute Musik, die gespannten Gesichter der Bodyguards.
    »Entschuldigen Sie, aber er hat mir aufgetragen, Ihnen seine Antwort wörtlich auszurichten«, begann Fandorin, blickte zu Boden und wiederholte Jastykows Worte: »Leck mich am Arsch! Keinerlei Garantien, lieber Kurzer. Du musst schon ein bisschen zappeln.«
    Mirat Leninowitschs Mundwinkel zuckten leicht.
    »Ich habe es Ihnen ja gesagt. Er bringt sie um . . .«
    »Ich finde, das ist vielleicht gar kein so schlechtes Zeichen. Auf dem Weg hierher habe ich die ganze Zeit nachgedacht. . . Ich glaube, ich fange an, seine Psychologie zu verstehen. Seiner Grobheit und anderen Hinweisen nach zu schließen, gefällt es Jastykow, Sie zu demütigen. Und daraus folgt, dass es ihm sehr viel mehr Spaß macht, Mira nicht umzubringen, sondern sie Ihnen zurückzugeben, oder von seinem Standpunkt aus gesehen: sie Ihnen vor die Füße zu schmeißen. Das entspräche am ehesten seinen Vorstellungen von einer Zurschaustellung seiner absoluten Überlegenheit.«
    Kuzenkos Gesicht hellte sich auf.
    »Ja, das sieht ihm ähnlich. Ich weiß noch, wie mir mein Vater in der sechsten Klasse eine japanische Taschenlampe zum Geburtstag schenkte. Das war etwas Sensationelles. Sie können sich nicht vorstellen, was für eine Bedeutung dieses leuchtende Ding mit den bunten Knöpfen für mich hatte. Zum ersten Mal in meinem Leben besaß ich etwas, worum mich die anderen beneideten. Ich nahm die Taschenlampe mit in die Schule, und für einen halben Tag war ich der King in der Klasse. Dem einen erlaubte ich, das Schmuckstück zu halten, ein paar Auserlesene durften sogar die Lampe einschalten und an den Farbfiltern drehen. Aber nach der

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