Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
Sohn.
    Mitja drehte und wendete den Zettel und steckte ihn in die Tasche. Ob er sich den an die Wand hängen sollte?
    »Aber auch die materiellen Zeichen der Gunst Ihrer Durchlaucht sind eine Freude«, fuhr Vater fort. »Ich bitte innigst, Ihrer Majestät meine tiefe Dankbarkeit auszurichten für die mit Ihrer Exzellenz übersandten Tscherwonzen. Teuer ist ja nicht das Geld, sondern die Aufmerksamkeit Ihrer Durchlaucht.«
    »Schon gut, ich werde es ausrichten.« Der Geheimrat nickte großmütig und kratzte sich den Kopf unter der schwarzen Perücke. »Und Eure Bitte um die Erlaubnis, Euch bei Eurem Sohn aufhalten zu dürfen, werde ich ebenfalls ausrichten. Wieso auch nicht? Das geht doch nicht an, dass man die Eltern und die Kinder trennt. Fürst Platon wird nicht mehr lange die menschliche Natur und die christlichen Grundfesten verhöhnen können. Das könnt Ihr mir glauben. Was diesen Punkt betrifft, da habe ich ganz sichere Informationen.«
    »Wirklich?«, sagte Vater erfreut und warf Mutter einen Blick zu. »Ach, meine Liebe, was wäre das für ein Glück!«
    Sie antwortete mit einem strahlenden Lächeln und goss dem Gast Tee ein.
    »Das hier ist unser Ältester«, sagte sie. »Endimion, verbeuge dich vor dem Herrn Geheimrat. Und auch vor deinem Bruder verbeuge dich.«
    Vaters Kammerdiener Georges führte gerade den Embryo ins Wohnzimmer – sie hatten ihn also doch aus Anlass von Mitjas Rückkehr geweckt.
    Der große Bruder war gekämmt und hatte die besten Sachen an, er hielt die Hände an die Hosennaht.
    »Bitte Mitja, er möge dich nicht vergessen und dir seine Fürsorge angedeihen lassen«, befahl Mutter. »Dein Glück wird nun von ihm abhängen.«
    Embryo tat, wie ihm geheißen wurde. Er verneigte sich fast bis zu Mitjas Gürtel, sprach ihn mit »Euch« und mit seinem vollen Namen »Dmitri Alexejewitsch« an. Mitja befragte sein Herz, ob sich darin Bruderliebe rührte. Nein, nichts dergleichen.
    Maslow gähnte und bekreuzigte seinen Mund.
    »Ach ja. Es geht schon auf Mitternacht zu. Danke für den Tee, meine liebe Aglaja Dmitrijewna. Ihre Sauerkirschkonfitüre ist ganz köstlich. Ich lege mich aufs Ohr. Nicht, dass ich hoffe einzuschlafen – daran hindert mich die Altersschlaflosigkeit. Ich wälze mich ein bisschen hin und her und zerknautsche das Federbett. Wenn Gott mir gnädig ist, schlummere ich für ein Stündchen ein. Morgen in der Frühe setzen Mitja und ich uns in meinen Schlitten, ziehen den Pferden eins mit der Peitsche drüber, und auf geht es wie der Wind nach Petersburg.«
    »Wollt Ihr den Pferden selber die Peitsche geben?«, fragte Mitja verwundert.
    Ihm fiel dabei noch eine andere Peitsche ein, was ihn leicht erröten ließ. Ob die Rede unterwegs wohl auf diesen Casus kommen würde?
    »Ja klar, ich selber. Ich lenke gerne eine Troika, ich liebe das Gebimmel der Glöckchen und pfeife mir eins. Ich bin doch nicht irgend so ein Deutscher, sondern ein echter Russe und komme aus ganz einfachen Verhältnissen. Mein Vater hatte eine Sattlerei, und ich habe es zum Geheimrat gebracht. Aber ich schäme mich nicht meiner Herkunft und habe nicht die Neigung, meine einfache Geburt durch Luxus zu übertünchen, wie es manche Parvenüs zu tun pflegen. Ich fahre einfach gerne ohne Lakaien. Wir werden uns blendend amüsieren, Dmitri, du wirst schon sehen. Es wird dir bestimmt gefallen.«
    Nein, Mitja gefiel das überhaupt nicht.
    »Ihr wollt auch keine Wache mitnehmen?«, fragte er besorgt nach.
    Prochor Iwanowitsch lachte.
    »Was braucht ein Wachtmeister denn für Wachen? Keine Angst, in meiner Gegenwart rührt dich keiner an.«
    »Und wenn uns Räuber überfallen?«, wandte Mitja ein, der an etwas ganz anderes dachte: an den Großen Magier und seine Ritter. »Die Wälder wimmeln von Räubern.«
    Der Geheimrat fürchtete keine Räuber. Er sagte:
    »Wem Gott wohl will, dem will Sankt Peter nicht übel.«
    So leichtsinnig war er.
    Sie trennten sich, um zu Bett zu gehen. Im Wohnzimmer blieben nur Vater und Mutter, die sich zu zweit ihr zukünftiges Glück ausmalten.
    Mitja wollte nichts weniger als schlafen. Als er allein war, steigerte sich seine Erregung noch.
    Mit Maslow zu zweit nach Petersburg fahren? Das war ihm nicht geheuer! Mit Daniel hätte er keine Angst, aber dieser Kahlkopf, im Zweifelsfall würde der ihn doch nicht beschützen können. Wie viele Abrahams- und Faustbrüder es wohl auf der Strecke zwischen Moskau und Petersburg gab? Und wer weiß, wann sie endlich die Nachricht erreichte, sie

Weitere Kostenlose Bücher