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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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statt des Fläschchens mit dem Likör eins mit Gift untergeschoben, und Maslow, der davon wusste, hatte statt Pikins Fläschchen sein eigenes untergeschoben, das ebenfalls Gift enthielt, aber mit dem Unterschied, dass dieses nicht langsam, sondern schnell wirkte und, was das Wichtigste war, zu einer Lähmung der Zunge führte. Die arme Adelaida Iwanowna fiel auf die Seite, verdrehte die Augen, riss den Rachen auf, aber sie brachte keinen Ton heraus! Das nennt man in der Medizin Lähmung des Artikulationsapparates. Mit der Kaiserin wäre genau dasselbe passiert.
    Mitja hatte sich mit seinen Ahnungen und Vermutungen weit vorgewagt, aber es fügte sich einfach alles nahtlos zusammen.
    Hatte sich Maslow denn nicht merkwürdig benommen, als die Windhündin im Sterben lag und sich alle um die verängstigte Zarin kümmerten? Auch er, der Beschützer Ihrer Durchlaucht, hätte unter ihnen sein müssen. Stattdessen hatte er sich auf Mitja gestürzt und ihn gefragt, ob er die Flasche zufällig zerbrochen habe oder von dem Gift wusste. Das war denn doch entschieden zu viel Durchblick!
    Hätte die Kaiserin in dieser Situation das Gift getrunken, dann hätte Maslow seine Schäfchen im Trockenen gehabt. Die Partei des Enkels wäre verunsichert gewesen, da sie von dem Fläschchen eine andere Wirkung erwartet hatte: nicht eine Lähmung der Zunge, sondern ein langsames Hinüberdämmern. Währenddessen hätte der Chef der Geheimexpedition schnell einen Boten mit einem Brief nach Gatschina geschickt. Eure Majestät möge geruhen, den Zarenthron zu besteigen. Sie eile mit ihren gepuderten Bataillonen in die Hauptstadt!
    Solch einen Liebesdienst vergisst man nicht.
    Muss man sich nach all dem wundern, dass Mithridates Karpow für den Großen Magier der leibhaftige Teufel ist? Zuerst hat er ihm seinen ausgeklügelten Plan verdorben, und dann hat er auch noch Maslows wichtigstes Geheimnis enthüllt. So einen muss man doch umbringen. Koste es, was es wolle. Und zwar unverzüglich, ohne das geringste Zögern und Zweifeln und erst recht darf sich keiner auf ein Gespräch mit ihm einlassen, sonst erzählt er, Gott bewahre, noch dem Falschen von der Gänseblume!
    Man sieht ja, in was für einer Panik er ist: Er hat sich höchstpersönlich auf den Weg gemacht. Das hat ihm bestimmt keiner befohlen. Und dass er sich nicht begleiten lässt, ist klar. Die Angelegenheit ist subtil und heikel, da stören Zeugen nur. Zweifellos wird der kleine Reisegefährte von Prochor Iwanowitsch nie in Petersburg ankommen. Er wird unterwegs irgendeinen Unfall haben: Entweder er fällt aus der Kutsche und bricht sich das Genick, oder man serviert ihm an einer Poststation verdorbenes Essen, und er vergiftet sich daran. Das kommt vor. Wir alle sind in Gottes Hand.
    Der arme Vondorin! Wie hatte er sich geirrt, wenn er meinte, er habe seinen Freund an einen sicheren Ort gebracht! Die arme Pawlina! Ihr Opfer würde umsonst sein.
    Aber am meisten bemitleidete er sich selbst. Nicht umsonst hatte ihm die Amme Malascha ein kurzes Leben vorausgesagt.
    Es gab eine Zeit, wo das Schlafzimmer dem kleinen Mitja als der sicherste Zufluchtsort auf der Welt erschienen war, während er jetzt dasaß, zitterte und Angst hatte, in die hinteren Ecken zu gucken, wo sich dunkle, schreckliche Schatten ballten. Die einzige Kerze auf dem Tisch brannte fahl und gleichmäßig wie bei einem aufgebahrten Toten.
    Und was, wenn Maslow gar nicht die Abreise abwarten würde, dachte Mithridates auf einmal. Warum sollte er sich Verdächtigungen aussetzen und sich vorwerfen lassen: Da vertraut man einem verantwortungsbewussten Menschen ein Kind an, und der versagt. Die Kaiserin würde bestimmt zornig werden, sie war auf ihren Beschützer ohnehin nicht sonderlich gut zu sprechen.
    Etwas anderes war es, wenn der kleine Pechvogel plötzlich seinen Geist auf gab, noch im Elternhaus. Was konnte denn Prochor Iwanowitsch dazu?
    Und kaum war Mitja dieser Gedanke in den Sinn gekommen, der schrecklichste von allen, da geschah es doch wirklich, dass auf einmal die Tür knarrte und sich einen Spalt weit öffnete.
    Er hätte den Riegel vorschieben müssen! Dass er daran nicht gedacht hatte!
    Durch den Spalt sah man einen Kopf; es war zu dunkel, als dass man hätte erkennen können, wessen Kopf. Er war oben schwarz, an den Seiten hing etwas herab: eine Perücke mit Locken.
    Er!
    Als er sah, dass der Junge sich noch nicht hingelegt hatte, hörte Maslow auf, Versteck zu spielen. Er öffnete die Tür und trat

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