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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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heftigen Bewegung kam das Zimmer ins Schaukeln, und er bekam Angst, er könne wie auf der Kimrinskaja Uliza wieder eine schiefe Ebene hinunter in ein schwarzes Loch rutschen, aber nachdem sie sich zurechtgewackelt hatte, stand die Welt still. Das Klopfen hielt allerdings an, es drang durch die offene Tür.
    Das Zimmer kam ihm bekannt vor – von hier hatte Mira mit ihrem Vater per Telefon gesprochen.
    »Was ist das?«, fragte Fandorin mit schmerzverzerrtem Gesicht und meinte das Klopfen, das in seinem Hinterkopf als Echo widerhallte.
    »Das Mädchen hat einen Tobsuchtsanfall«, antwortete Max finster. »Sie ist vor zehn Minuten zu sich gekommen. Am Anfang hat sie gebrüllt, jetzt hämmert sie einfach gegen die Tür. Macht nichts, alles schallisoliert hier.«
    Er stand am Fenster und schaute nach unten, auf die Straße. Der zweite Bewacher saß auf einem Stuhl an der Tür und reinigte sich die Fingernägel mit einem Messer.
    »Sie haben uns reingelegt«, stellte Fandorin fest.
    »Genau«, bestätigte Max. »Und zwar nach allen Regeln der Kunst. Was hat man Ihnen am Telefon gesagt?«
    »Wer? Mirat Leninowitschs Sekretär? Die Teilnehmer der Auktion würden vorgestellt.«
    »Aha, schöne Vorstellung.« Max drehte sich mit einem schiefen Lächeln um; sein Gesicht konnte man nicht sehen, weil die Sonne von hinten schien. »Er hat Ihnen die Hucke voll gelogen. Die Auktion hat eine Minute gedauert. Der Ausgangspreis lag bei achtzig Millionen, Kuzenko hat sofort hundert geboten und damit alle ausgebootet. Der Verkauf ist also gelaufen! Da hat Jeanne dann › sechs sechzehn« angeordnet. Das heißt: beide zurückbringen. Tja, so sieht es aus, Nikolaj Alexandrowitsch.«
    Nicholas schüttelte den Kopf.
    »Das kann nicht sein! Das ist ausgeschlossen! Jeanne lügt! Nur Ihr Auftraggeber kann die Absprache gebrochen haben!«
    Max schaute Fandorin mitfühlend an.
    »Unwahrscheinlich. Ich arbeite über ein Jahr mit Jeanne zusammen, so eine Stimme hatte sie noch nie. Kein Wunder, das ist für sie ein Reinfall ohnegleichen. Sie muss gleich da sein, sie hat schon zweimal von unterwegs angerufen. Alle Nerven liegen bei ihr bloß, sie rast vor Wut. Sie tun mir Leid. Das heißt, Sie selber wird sie wohl einfach abknallen, aber dem Mädchen wird sie die Hölle ganz schön heiß machen. Da hat sie Übung drin. Stimmt’s, Anatoli?«
    Plattnase, der also in Wirklichkeit Anatoli hieß, nickte, ohne den Kopf zu heben. Er war mit der linken Hand fertig, nun kam die rechte dran.
    Nicholas wollte seine Gedanken sammeln, aber sein Kopf war wie schockgefroren, die Gedanken hüpften darin herum wie Pelmeni in einer Packung, die man gerade aus dem Tiefkühlfach herausgenommen hat.
    »Womit haben Sie mich betäubt?«
    »Ich habe eine Ampulle Liquosol gespritzt. Keine Angst, das Hirn taut gleich wieder auf. Nur das Gefühl kommt nicht sofort wieder. Womöglich ist das ja auch besser so?« Max seufzte. »Wenn Sie wollen, spritze ich Ihnen noch mal eine Dosis, eine schwächere. Solange sie noch nicht da ist. Wer weiß, was ihr in den Kopf kommt. Dann tut es nicht so weh. Weißt du noch, Anatoli, wie sie den Glatzkopf zugerichtet hat?«
    Plattnase nickte wieder.
    »Ich bin ja weiß Gott abgebrüht, aber selbst ich habe danach kein Auge zugetan.«
    Der gesprächige Bewacher schüttelte sich und setzte sich neben ihn.
    Das Handy in seiner Tasche klingelte.
    »Ja«, sagte er in den Hörer. »Alles in Ordnung . . . Ja, alle beide . . . Okay.«
    Er erklärte Fandorin:
    »Das war sie. Sie ist in die Dmitrowskoje eingebogen.«
    Die Zeit verstrich, unerbittlich zerlief sie ihm zwischen den Fingern. Im Vergleich zu dem Ungeheuer, das über die Dmitrowskoje-Chaussee Richtung Norden raste, erschienen Nicholas die Killer, die das Zimmer bewachten, fast wie gute Bekannte. Zumindest der eine von ihnen, in dem der brutale Beruf noch nicht endgültig alles Lebendige und Menschliche ausgerottet hatte. Ach, wenn man doch unter vier Augen mit ihm sprechen könnte, ohne dass dieser finstere Neandertaler mit seinem langen, schmalen Messer danebensäße!
    Er hatte keine Wahl.
    »Hören Sie, Max«, begann Fandorin schnell, bemühte sich aber trotzdem, die Worte nicht zu verschlucken. »Ich kenne Ihr Vorleben nicht und weiß nicht, warum Sie das hier machen. Sie werden sicher gut bezahlt dafür. Sicher zieht Sie das Abenteuerliche daran an. Ich glaube gern, dass Sie gute Gründe dafür haben, die Menschen zu verachten. So weit, so gut. Aber Sie haben doch auch noch eine Seele.

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