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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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was er anschaltet, überall wird er die Schreie seines Töchterchens hören. Tags und nachts. Hier und im Ausland. Ich werde weder Zeit noch Geld scheuen. Wie findet ihr das?« Ihre Lippen zogen sich in die Breite, aber man konnte das schwerlich ein Lächeln nennen. »Da schaltet der Kurze am Morgen seinen Rasierapparat an und hört: › Paaapa! Paaapotschka! Aaaa! ‹ Ich weiß, wie man das hinkriegt. Das ist technisch kein Problem.«
    »Hören Sie, Sie haben jetzt doch wirklich andere Sorgen!«, sagte Fandorin unnatürlich laut, als wäre sie taub oder tobsüchtig. »Ihr größtes Handicap ist Jastykow. Sie haben ihn in die Irre geführt, denn Ihr Plan hat ja nicht funktioniert. Er wird mit Ihnen abrechnen wollen. Statt daran zu denken, wie Sie andere ums Leben bringen können, retten Sie lieber Ihr eigenes Leben!«
    Jeanne drehte sich mit dem ganzen Körper zu ihm um, Nicholas presste sich an die Wand.
    »Aha, der Meister der vernünftigen Ratschläge! Danke für die Empfehlung, aber ich habe schon mit Oleg gesprochen, von seiner Seite wird es keine Probleme geben. Aber was soll ich denn nun mit Ihnen machen, Nikolaj Alexandrowitsch, mein Guter?« Sie betrachtete ihn mit dem Blick eines Kochs, der gerade überlegt, wie er das Fleischstück zubereiten soll. »Nein, Strom an die empfindlichen Stellen jagen, das werde ich Ihnen ersparen. Ich habe eine bessere Idee. Wir fangen damit an, dass Sie zuhören, wie Ihre Mira kreischt und schreit. Danach inszeniere ich dann für Ihre Familie ein Stück nach Edgar Allan Poe. Haben Sie den › Untergang des Hauses Usher ‹ gelesen? Mein Lieblingswerk.«
    Zufrieden darüber, dass sie Eindruck gemacht hatte, lachte sie und gab dann sachlich Anweisung:
    »Das Mädchen ausziehen, an Handgelenken und Knöcheln fesseln. Den Mund nicht verstopfen, damit sie ihre Solos trällern kann.«
    »Und was ist mit dem?«, fragte Max und deutete auf Fandorin.
    »Soll er doch herumlaufen und mit den Händen fuchteln. Dann macht die Arbeit mehr Spaß. Wenn er zu viel herumfuchtelt, zieht ihm eins drüber, oder gleich zwei, aber nicht zu stark, so dass er bei Bewusstsein bleibt. Los, Jungens, vorwärts!«
    »Sofort.«
    Max verließ das Zimmer und ging zu der Tür, die Miranda hartnäckig und ohne Aussicht auf Erfolg mit den Fäusten bearbeitete. Der zweite Bewacher kratzte sich mit dem Messer an der Braue, stand vom Stuhl auf, ging aber nicht weiter – offenbar fand er, sein Kollege käme allein zurecht.
    Fandorin stürzte hinter Max in die Diele und schrie nur drei Worte:
    »Um Gottes willen!«
    Jeanne und Plattnase standen direkt hinter ihm, aber der Magister nahm sie nicht wahr. Sein Blick war auf die kräftige, mit rötlichem Flaum bedeckte Hand geheftet, die sich immer näher an den Riegel heranschob, Millimeter für Millimeter, endlos. Die Zeit zog sich in die Länge wie Gummi, die Sekunde wollte nicht verstreichen.
    Und auf einmal stellte sich heraus, dass Nicholas in einer anderen Zeitdimension existierte, dass er diese nicht enden wollende Sekunde an ihrem gummiartigen Schlafittchen packen, sie festhalten und rückgängig machen konnte.
    Mit einem gellenden Schrei, der ihm selber nicht bewusst war, stürmte Fandorin vorwärts. In plump geduckter Haltung durchquerte der zwei Meter lange Magister die schmale Diele und haute dem Bewacher mit der Unaufhaltsamkeit eines Balles, der ins Netz fliegt, seinen Kopf ins Rückgrat.
    Der Zusammenstoß war so heftig, dass Max mit dem Gesicht gegen die Tür prallte und benommen auf den Boden rutschte. Nicki, der sich vorübergehend außerhalb von Vernunft und Zivilisation bewegte, stürzte sich von oben auf den Feind und packte ihn mit den Händen an der Kehle.
    Wie durch eine Wand hörte man von hinten eine Frauenstimme:
    »Halt, Anatoli. Lass mal. Ich möchte mir die Corrida ansehen.«
    Mit einer automatischen, aber in ihrer Präzision unfehlbaren Bewegung drückte Max dem Magister einen Finger ins Sonnengeflecht und nutzte das Erschlaffen des krächzenden Fandorin, um seinen Hals zu befreien. Er warf sich mit einem Ruck zur Seite, schüttelte den Gegner ab und versetzte ihm noch einen Handkantenschlag unter dem Nacken, so dass Nicholas mit dem Gesicht auf dem Boden landete.
    »Bravo«, sagte Jeanne anerkennend, aber Fandorin hörte absolut nichts mehr. Er sah direkt vor seinen Augen einen Fuß in einem schwarzen Schuh, mit einer leicht heruntergerutschten Socke, brüllte, riss sich vom Boden los und schlug seine Zähne in eine Sehne (es war wohl

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