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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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man den Herrschenden einen Rat gibt: Da willst du das Beste, und es kommt das Gegenteil dabei heraus.
    Oder noch ein Beispiel.
    Die Kaiserin legte eine Patience; sie war in nachdenklicher Stimmung.
    »Ach«, sagte sie seufzend. »Mein kleines Vögelchen, warum ist es für einen alten Mann, selbst wenn er sechzig ist, keine Schande, ein junges Mädchen zu heiraten, während es für eine reife Dame desselben Alters unmöglich ist, mit einem sechsundzwanzig- oder siebenundzwanzigjährigen Mann vor den Traualtar zu treten?«
    Und wieder blickte sie hoffnungsvoll zu ihm und hielt ängstlich den Atem an.
    Mitja dachte nach und antwortete:
    »Das liegt wohl daran, Eure Majestät, dass ein sechzigjähriger Greis noch Kinder haben kann, während eine sechzigjährige Großmutter keinen Nachwuchs mehr haben kann. Man heiratet doch schließlich, um die Bevölkerung zu vermehren, warum sonst?«
    Und dazu fiel ihm gleich ein gut passendes Faktum ein.
    »Aber die Wissenschaft kennt auch Ausnahmen. Ich habe gelesen, 1718 sei im mexikanischen Vizekönigreich eine gewisse Manuela Sanchez im Alter von dreiundsechzig Jahren schwanger geworden und habe einen toten Säugling weiblichen Geschlechts auf die Welt gebracht, der sieben Pfund, drei Unzen und zwei Solotniks wog; der Wöchnerin platzten die Geschlechtsorgane, woran sie starb.«
    Die Kaiserin schmiss die Karten zu Boden und warf ihn hinaus, ihr standen die Tränen in den Augen. Was hatte er denn Schlimmes gesagt?
    Später kam sie ihm nach in den Flur, liebkoste ihn, nannte ihn ein »einfaches Herz« und »mein liebes Kind«. Das sahen viele, und Mitjas Stern glänzte noch heller.
    Bei Hof sprach man ohnehin viel über den wunderbaren Knaben und die besondere Sympathie von Mütterchen Zarin für ihn. Natürlich fanden sich auch Bittsteller ein. Ein Kammerherr bat, man möge ihn zu den Versammlungen in der Kleinen Eremitage einladen. Er unterstrich seine Bitte mit einem Pfund brasilianische Schokolade. Der Vizedirektor der kaiserlichen Theater, der kam, um die Erlaubnis zur Aufführung eines Stücks zu erwirken, hatte offenbar nicht erwartet, dass der berühmte Mithridates so klein war. Er war etwas irritiert, als er ihm die mitgebrachten Geschenke aushändigte; es handelte sich nämlich um ein halbes Pfund Virginia-Tabak und die neueste Erfindung gegen eine üble Krankheit: eine durchsichtige kleine Kapuze, gefertigt aus der Blase eines afrikanischen Fisches. Den Tabak gab Mitja dem Kammerdiener, die Schokolade aß er selber, und die dehnbare Kapuze leistete ihm gute Dienste bei seinen Experimenten mit erwärmtem Gas.
    Nach und nach lebte sich Mithridates in dem weitläufigen Palast ein, der Zeile für Zeile und Seite für Seite das Buch seiner zahllosen Geheimnisse vor ihm auftat. Natürlich nicht das ganze Buch, sondern nur einen kleinen Ausschnitt, denn diesen riesigen steinernen Folianten in seiner ganzen Wucht zu begreifen, das ist wohl für einen Sterblichen nicht zu bewältigen, noch nicht einmal für den Palastkommandanten. Und wenn du hundert Jahre in diesen stolzen Gewölben lebtest, würdest du nicht alles wissen. Nach dem Niedergang von Versailles gab es auf der ganzen Erde keine prächtigeren und geräumigeren Gemächer.
    Um den Palast zu erkunden, unternahm Mitja Expeditionen: zuerst ins nahe Umfeld, in die Nebenräume, die Hängenden Gärten, die Chöre. Dann immer weiter und weiter. Mit der Zeit stellte sich heraus, dass das Winterpalais nicht nur voller wunderschöner Bilder und Skulpturen war, sondern auch voll zahlloser anderer Reichtümer steckte und auch viele Gefahren bereithielt. Der Palast hatte ganz offensichtlich ein geheimes Eigenleben, eine eigene Seele, und zwar eine wenig wohlwollende, die Neulingen Böses, ja den Untergang wünschte.
    In der siebten Nacht nach Mitjas Einzug kam es zu einem unerklärlichen, wenig Gutes verheißenden Vorfall. Er lag nachts in seinem gigantischen hohen Bett, das man nur über eine Leiter erreichen konnte, und betrachtete den bronzenen Kronleuchter. Das heißt, er betrachtete ihn nicht eigentlich, denn was gab es da schon zu betrachten, er kannte ihn längst in- und auswendig – er starrte einfach an die Decke, wo der Kronleuchter hing. Zum Schlafen hatte er noch keine Lust. Die Kaiserin forderte, das Kind müsse um zehn ins Bett gebracht werden, und erlaubte es nicht, dass er nachts las, da das der Gesundheit schade. Er hatte versucht zu erklären, dass ihm für das Auftanken von Energie drei Stunden reichten, aber wie

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