Der FC Bayern und seine Juden
einschlug, trat Mommsen als Verteidiger des »klassischen« Liberalismus auf. So blieb der bittere Nachgeschmack, wie »Zeit«-Autor Uffa Jensen in einem historischen Rückblick konstatiert, »dass sich weder Mommsen noch ein anderer Nichtjude unter den gebildeten Bürgern zum Anwalt ihrer Position, ihrer eigentlichen Emanzipation gemacht hatten. Damit ist eine große Chance vertan worden, ein für alle Mal anzuerkennen, dass Juden Teil des politischen Lebens, der Kultur der Bürger und der deutschen Nation als Ganzes geworden waren – und zwar als Juden.«
Allerdings unterzeichneten ein Jahr später Mommsen und weitere 70 Wissenschaftler, darunter Rudolf Virchow, Rudolf von Gneist und Johan Droysen, eine Erklärung gegen Treitschkes »Evangelium der Intoleranz«, in der sie Antisemitismus, Rassenhass und den »Fanatismus des Mittelalters« geißelten. Der Antisemitismus sei eine »ansteckende Seuche«, eine »künstlich entfachte Leidenschaft der Menge«. Und diese werde »nicht säumen, aus jenem Gerede praktische Konsequenzen zu ziehen«.
Die Debatte ging vorüber, aber die antisemitischen Ressentiments blieben. Im Laufe der 1880er und 1890er Jahre nahm der Antisemitismus vor allem in den deutschen Studentenverbindungen deutlich zu. Die Konservative Partei kündigte 1892 in ihrem Programm den Widerstand gegen »den vielfach sich vordrängenden und zersetzenden jüdischen Einfluss auf unser Volksleben« an, und 1893 saßen im Reichstag immerhin 16 Abgeordnete antisemitischer Splitterparteien.
Die rechtliche Gleichstellung der Juden, wie sie im Wesentlichen mit dem sogenannten Judengesetz von 23. Juni 1847 erfolgt war, blieb von diesen Entwicklungen unberührt. Der Antisemitismus vor 1914 glich mehr, wie Gordon Craig schreibt, »einer hartnäckigen Unterschwelligen Infektion, die die Gesundheit des sozialen Organismus nicht ernsthaft gefährdete, sich aber resistent erwies gegenüber allen Versuchen, sie zu überwinden.«
Jüdischer Patriotismus
Der Erste Weltkrieg bietet nun vielen deutschen Juden die Gelegenheit, Vaterlandsliebe unter Beweis zu stellen und ein »Wurzelschlagen im deutschen Wesen« zu belegen. Glaubwürdiger scheint man sein »Deutschsein« kaum demonstrieren zu können: Die christliche Mehrheitsgesellschaft, so hofft man, werde das »jüdische Blutopfer« nach dem Krieg honorieren.
Die bedeutendste Vertretung der deutschen Juden ist der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (CV), der sich 1893 als Reaktion auf den erstarkenden Antisemitismus im Kaiserreich gebildet hatte. Sein Ziel ist, »die deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens ohne unterschiede der religiösen und politischen Richtung zu sammeln, um sie in der tatkräftigen Wahrung ihrer staatsbürgerlichen und gesellschaftlichen Gleichstellung sowie in der unbeirrbaren Pflege deutscher Gesinnung zu bestärken«. Der CV betont die deutsche Volkszugehörigkeit und glaubt an die Möglichkeit einer Synthese von Deutschtum und Judentum. Der zionistischen Auffassung von einer jüdischen Nation mit eigener Geschichte steht man kritisch gegenüber.
Der CV beschwört nun seine Mitglieder: »In schicksalsschwerer Stunde ruft das Vaterland seine Söhne zu den Fahnen. Dass jeder deutsche Jude zu den Opfern an Gut und Boden bereit ist, die die Pflicht erheischt, ist selbstverständlich. Glaubensgenossen! Wir rufen Euch auf, über das Maß der Pflicht hinaus Eure Kräfte dem Vaterland zu widmen.« Auch das national-jüdische Lager macht fürs Vaterland mobil. So heißt es in der Zeitschrift »Der deutsche Zionist«: Wer »gegen Deutschlands Feinde die Waffen führt, handelt nicht nur in Erfüllung einer staatlichen Pflicht, sondern im Bewusstsein, dass er (…) damit zugleich für die eigene Persönlichkeit, die unlöslich im deutschen Wesen Wurzeln geschlagen hat, kämpft, wie jeder andere Deutsche.«
Jüdischer Patriotismus wird zusätzlich dadurch motiviert, dass es gegen das zaristische Russland geht – den Erzfeind, in dem Juden immer wieder Opfer von Pogromen geworden sind. Sogar aus Palästina kommen deutschstämmige Juden herbeigeeilt, um dem »Vaterland« beizustehen.
Landauer an der Front
Für Golo Mann war der gewöhnliche deutsche Jude, ob getauft oder ungetauft, deutsch in seinen Tugenden, deutsch in seinen Lastern, deutsch in Kleidung, Sprache und Manieren, patriotisch und konservativ. Auch für Gordon Craig gab es »nichts Deutscheres als jene jüdischen Geschäftsleute, Ärzte, Anwälte und Gelehrten,
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